Vom Stil zur Haltung

go back to Portrait | Reviews

Vom Stil zur Haltung

Das Labeltreffen Marke B in Berlin zeigte letztes Wochenende: Die Electronica verästelt sich immer weiter, auch Labels garantieren nicht mehr für eine einheitliche Stilistik. Sehr deutlich wird dies gerade in der Berliner Musikszene.
Author: Mischa Suter | Neue Berliner Zeitung | text in German only
13 November 2003

«Musik ist Hoffnung – deshalb mache ich Platten für die Inner City», verkündete mit tiefer Stimme der prominente Gast aus Detroit. In einer Podiumsdiskussion des Berliner Labeltreffens Marke B, in der es um Vertriebswege, Strukturkrise und Wachstumsstrategien ging, klang «Mad» Mike Banks’ Aussage überraschend romantisch. Er meinte es tatsächlich ernst, der Kopf des einflussreichen Technolabels Underground Resistance, den zu sehen alleine schon eine kleine Sensation war, agiert er sonst doch aus völliger Anonymität heraus. Allerdings erwies es sich als schwierig, Parallelen zu ziehen zwischen den Detroiter Ghettovierteln in Inner City und Berlin Mitte, dem sanierten Quartier, wo das Festival Marke B stattfand – im Café Moskau, dem ehemaligen SED-Prestigeklub. Nicht als Messe, als Plattform war Marke B gedacht. In der Labelgalerie hatten rund vierzig lokale Firmen ihre Stände, das Musikprogramm reichte vom stimmigen, beinahe altmodischen Laptop-Click-Set von Dubtractor bis hin zum rauen Reimfluss der Newcomer-Rapperin Soom T.

Die stilistische Ordnung, die Labels einst boten in der verästelten Musik der Electronica, wird heute durchbrochen durch ihre wahrhaft erschlagende Anzahl – zumal in Berlin. Und überdies lassen sie sich immer weniger an einem spezifischen Sound festmachen. Berlin ist mehr denn je ein Musikmagnet. Die Mieten sind billig, die Szenen gewachsen, und auch Medien und Majors haben sich mittlerweile hier niedergelassen. In dieser Stadt, die sich häufig überspannt gibt, tragen die Klubs Namen wie «White Trash», «Dönerlounge (jeweils dönerstags)» oder «Ruf Mich Nie Wieder An». Und die Labels heissen: «Shitkatapult», «Bomb Mitte» oder «Chicks On Speed Rec». Die Klubwelt kriselt allerorten, in Berlin expandiert sie. Einen spezifischen Sound of Berlin gibt es allerdings nicht.

Marke B sollte zwar möglichst viele Electronica-Labels berücksichtigen, aber freilich ging es nicht ohne Selektion, und diese musste subjektiv ausfallen: «Wir Veranstalter vertreten schliesslich keine offizielle Gesellschaft, und wir sind auch selber Künstler», erklärte die Mitorganisatorin Gudrun Gut, die sich seit den Zeiten des Punks als Musikerin, Radiojournalistin und Labelbetreiberin in der Berliner Musiklandschaft bewegt. Auf ihrem eigenen Label Monika Enterprise veröffentlichte sie zunächst Acts aus der sogenannten Wohnzimmerszene: Als Berlin Mitte der neunziger Jahre sehr Techno-orientiert war, begannen Künstlerinnen und Künstler wie Barbara Morgenstern in Wohnzimmern leise Konzerte zu veranstalten. Denn für diese Musik, in der sich die Songstrukturen von Pop mit der Geräuschwelt von Electronica vereinen, gab es damals keinen anderen Ort. In kurzer Zeit war ein Stil entstanden, in dem sich das Bandformat als Experimentierfeld der Elektronik erweist. Die Produktionen auf Monika Enterprise stammen mehrheitlich von Frauen. Reine Männerbands interessieren Gudrun Gut nicht. Mit der Verpflichtung von Cobra Killer, einer «lauten, unangenehmen Band», versucht nun Monika Enterprise indessen, vom freundlichen Wohnzimmer- Image wegkommen.

Die Krise der Musikindustrie hat mittlerweile auch jene unabhängigen Labels erfasst, die zunächst noch in Nischen gedeihen konnten. Thomas Morr von Morr Music versucht, sein Angebot den neuen Umständen anzupassen. Mit Lali Puna oder MS John Soda sind auf Morr Music Bands versammelt, die Popmusik machen, ohne Popstars werden zu wollen. «Indietronica» wurde dieser Sound schon genannt. In nächster Zeit sollen verstärkt Schritte in Richtung Hip-Hop unternommen werden. Neben der Arbeit für das eigene Label betreibt Morr ferner das Export-Management für den Indie-Vertrieb Hausmusik, d. h., er knüpft Erstkontakte zu ausländischen Vertrieben. In diesem Jahr, berichtet er, gingen allein in England drei wichtige Vertriebe pleite, und Hausmusik musste sich von 150 Labels trennen. Man könne nicht mehr einfach eine Maxi nach der anderen herausbringen, man müsse langfristig planen und sich professionalisieren, auch als Indie-Betrieb: «Dabei wollten wir früher total flexibel, total anders sein.»

Dass man trotzdem unbekümmert draufloslegen kann, zeigt Klangkrieg. Das Experimentallabel suchte nie einen spezifischen Labelsound. Bestimmend sind Extreme, und die können in den unterschiedlichsten Genres liegen. Auf eine Noise-Breakbeat-Platte folgte ein Songwriter- Album. Klangkrieg begann 1996 als Veranstaltungsserie, die Anfang dieses Jahres eingestellt wurde. Von ihren Feldzügen ins unsichere Terrain der Avantgarde können Schmidt und seine zwei Mitbetreiber allerdings nicht leben. – Nach der Lancierung folgt die Diversifizierung: Heute garantiert der Firmenname auf der Plattenhülle nicht mehr für einen bestimmten Musikstil. Für einen roten Faden ihrer Labelpolitik verlassen sich die befragten Betreiber eher auf eine bestimmte kreative Einstellung, künstlerische Haltung denn auf einen einheitlichen Sound.

Trotzdem gibt es sie noch: Tracks für den Klub und Labels, welche stilistisch eine klare Linie vertreten. Elektro Music Department stellt diesbezüglich das konsequenteste Berliner Technolabel dar. Stetig wird eine spezifische Soundästhetik mit begrenztem Instrumentarium umkreist, im Zentrum steht noch immer der Beat der Drumcomputer Roland 808 und 909. «Rave is over. Sad but true», informiert zwar ein Aufkleber. Und tatsächlich war es längere Zeit still um das Label. Man sei sich nicht sicher gewesen, in welche Richtung es weitergehen solle, erzählt Mo Loschelder von EMD. Ende November ist indes ein neues Album zu erwarten.