Frisst Groove, frisst Bass

Logo Klangkrieg

Frisst Groove, frisst Bass

zurück zu Release

A. Busche | TAZ

„Spezialistentum ist Geheimbündelei. Und Drum’n’Bass hat sein Image der Geheimwissenschaft immer gepflegt. Die Verschleierungstaktiken um Produktionsmittel, die Fetischisierung von exklusiven Dubplates und White Labels, das gezielte Sich-Rar-Machen als Wertsteigerungsoption, die fast ritualisierten Forschungsprozesse in den Heimlaboratorien der „Beat Scientologen“, angereichert mit dem theoretischen Ballast afrofuturistischer Konzeptderivate und noch etwas profanerem Science-Fiction-Eskapismus; die Bürde der selbst eingeforderten Erlöser-Rolle (für elektronische Musik) übersteigerte letztlich die Kompetenzen vieler Programmierer.Und noch bevor man überhaupt nachvollzogen hatte, was da in den Studios wie zusammengefrickelt worden war, interessierte es auch schon niemanden mehr. Die Pro-Tool-Elitaristen outeten sich auch nur als Wasserkocher der Beat-Klöppelei. Drum’n’Bass hat seinen ersten Zyklus bereits abgeschlossen.

In England feiern die Deejays gerade wieder den primitiven Old- School-Sound, die alten Ragga-Samples werden ausgepackt, Happy Hardcore bedeutet plötzlich wieder mehr als Charly Lownoise & Mental Theo. Und in Berlin sitzt Tim Elliot alias Current Value in seinem Kämmerchen und hat jetzt mit seinem vierten Album „Beyond Digits“ ein richtiges Biest in die Welt gesetzt.

Eine Stunde Drum’n’Bass mit der Brechstange, schnörkellos und abgemagert bis auf die wesentlichen Funktionseinheiten: Drum und Bass. „Beyond Digits“ hasst Intros; es frisst Grooves, Bass und Mitten wie ein Schredder und hämmert trocken den Anti-Funk. Effizienz und Härte – die Platte lädt nicht ein, sie konfrontiert. Die schockgefrosteten Bässe brüllen dich an; die stahlgehärteten Drums schieben nicht, sie prügeln unaufhörlich brutalste Synkopen raus. In den Klangfarben einer tauben, maschinistischen Kälte erzählt diese Ingenieursleistung von Drum-’n’-Bass-Album Geschichten von Paranoia und Klaustrophobie, Entfremdung und Isolation. Ein stilistisch präzises, abstraktes Stahlgewitter. Die Geheimsprache der Drum-’n’-Bass-Wissenschaftler spricht Elliot jedoch nicht. Wenn von „Drum’n’Bass in Deutschland“ die Rede ist, fällt sein Name nie.

Current Values bisherige Alben auf Position Chrome hatten ihn als detailvernarrten Mad Scientist diskreditiert, der so lange in den Strukturen seiner Tracks schraubte, bis man sie in jede Galerie hätte stellen können. Komplizierter, abgrundtief düsterer Maschinen-Jazz ohne „Basis“-Anbindung; seinem Label-Kollegen Panacea jederzeit eine Idee voraus, aber ohne die Potenz von dessen Testosteron-Breakbeats. Irgendwie feinsinniger. Damit ist jetzt Schluss.

Die Verdichtung auf ganz grundsätzliche dramaturgische Prinzipien eines Drum-’n’-Bass-Tracks hat auf „Beyond Digits“ zehn metallisch-scheppernde Breakbeat-Tools in Form gebracht. Pure Essenz. Diese Rückbesinnung auf Kraft durch Reduktion klingt wie Tabula rasa für Drum’n’Bass. Alles auf Anfang. Dass die Platte dieses Mal nicht auf einem Drum-‘n‘-Bass-Label erscheint, ist die letzte Konsequenz. Auf dem Berliner Label Klangkrieg Rec. erscheint – nach den Folktronics von Kat Kosm und der Compilation „American Breakbeats“ – fast zeitgleich das Gabba-Pop-Album „Don’t stop the Music“ von Sonic Dragolgo. Als immer noch Marginalisierter sucht er die Nähe anderer Marginalisierter. Für ihn keine ideologische Entscheidung, eher ein pragmatische. Elliot findet auf Umwegen zu höheren Zielen, sein Modular-Synthesizer, Ursprung der atmosphärischen Düsternis in den Kulissen seines Hallraums, gilt in der „Szene“ als antiquiert.

Elliot betont, dass die pseudo-futuristischen Eigenarten seines Sounds – ohne Manga-Klischees und Cyber-Kitsch – gerade aus der sorgsamen Forschung an dem prähistorischen Gerät herrühren. Mit „Beyond Digits“ hat er die lang erstrebte Science-Fiction-Werdung von Drum’n’Bass vollzogen.