„Schalt doch mal die Festplatte aus“

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„Schalt doch mal die Festplatte aus“

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Jens Balzer | Bln Zeitung

Die schönste Geräuschplatte dieses Herbstes kommt aus Berlin. Man glaubt das nicht unbedingt in den ersten Sekunden, weil es während der ersten Sekunden auf dieser Platte knistert und knackt wie von einer kaputten Computerfestplatte, und wenn es irgendetwas gibt, was man auf Geräuschplatten gar nicht mehr hören will, dann sind es Knister – und Knacker-Geräusche, die von kaputten Computerfestplatten kommen könnten – umso mehr, wenn die Geräuschplatte aus Berlin kommt, der Hauptstadt der knister-knacker-kaputten-Computerfestplattenmusik. Schluss damit!, denkt der Hörer. Festplatte aus!

Und dann geht sie auch aus, und zwar binnen Sekunden. Erst wird das Knistern und Knacken von einem schwer in der Hallschlaufe hängenden Gitarren vibrato sekundiert, dann verfestigt sich das Vibrato in einer Steve-Reich-haft gezupften Minimal Music; ein Modulator moduliert sphärisch gedehnte Geistergesänge; von links hinten oingt und boingt sich eine Maultrommel heran – und formt die schöne warme Wellenbewegung zu einem Song.

So ist es durchweg. Es passiert so viel auf dieser Platte, dass man mit dem Hören kaum hinterherkommt; und dennoch wirkt sie hörbar und strukturiert. Was immer sie an geräuschhafter Vielheit entfaltet, an analogen und digitalen, elektrischen und elektronischen Geräuschen, formt sich stets (ohne dass jemand sänge) wieder zu Strophen und Songs. Guido Möbius, hiesigen Hörern als Ein-Mann-Labelbetreiber, Impresario und Interessante-Geräusche-DJ gut bekannt, hat in „Klisten“ fast ganz alleine in seiner kleinen Butze in Friedrichshain eingespielt. Es handelt sich also um Wohnzimmerpop – aber wenn es dann schon irgendwie weitergehen muss mit dem Wohnzimmerpop, mit diesem typisch postwendeberlinischen Popschluffitum, dann so und nicht anders: freundlich verschroben und bastelfroh; aber eben auch mit dem unbedingtem Willen zur Strukturierung.

Guido Möbius ist Minimalist, aber ihm fehlt diese lästige Berliner Minimalistenträgheit, dieses vertrödelte Studenten-mit-Ofenheizungswhohnungs-hafte, das an Bands wie Contriva so nervt. Gemütlich rührt er alles zusammen, was er auf den Friedrichshainer Geräuschflohmärkten findet, aber ihm hängen die Augenlider dabei nicht auf halb acht. Guido Möbius hält die Augen weit offen und die Ohren erst recht; zugleich verzettelt er sich niemals und nirgends. Minimalismus und Fülle, Reduziertheit und Pop kommen bei ihm gar nicht erst miteinander in Widerspruch, weil Möbius den rechten Minimalismus als einen Effekt von Verdichtung begriffen hat. Hoffentlich bleibt er in Berlin mit dieser Erkenntnis nicht länger allein: „Klisten“ ist ein wegweisendes Werk.