Berliner Dialektik

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Berliner Dialektik

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A.Hartmann | TAZ

Der Berliner Popbetrieb ist längst ein sich selbst erhaltendes System. Er kann gar nicht mehr anders, als der Medienhysterie und dem Sich-selbst-gut-Finden gerecht werden zu wollen. Inzwischen kommt man sich hier manchmal vor wie im Zentrum einer Spekulationsblase. So richtig crazy ist es zwar nicht mehr. Nur sagt man das lieber nicht öffentlich, weil man sich inzwischen selbst von der Blase nährt und Skeptizismus nur den Aktienkurs negativ beeinflussen würde. Man brüllt also „Berlin macht Schule“, und eine Band wie Surrogat beweist, dass man tatsächlich die meiste Aufmerksamkeit bekommt, wenn man nur am lautesten brüllt. Die Compilation „Gerdas große Gruppe“ richtet sich nun genau gegen diese inzwischen kritikresistente Berliner Pophysterie, gegen Volksbühnen-Spektakel, die in Wahrheit meist sehr öde sind, und die Verlifestylisierung der Subkultur, kurz: gegen alles zu Laute in dieser Stadt. Die Musik, die hier dargeboten wird, ist dementsprechend leise, sehr leise, wie ein weit vom Ursprung des Getöses entferntes Echo. Erstaunlicherweise kommt die Idee, Stille und Ruhe nicht nur als Haltung zu propagieren, sondern auch an der Musik selbst festzumachen, ausgerechnet von Klangkrieg. Als Label lassen es die Klangkrieger sonst am liebsten krachen und auch als Konzertveranstalter sehen sie nur allzu gerne blutende Ohren. Von Kat Cosm haben sie zwar bereits eine Platte mit äußerst zärtlicher Musik veröffentlicht, doch für „Gerdas Große Gruppe“ musste selbst der Gabbapop-Berserker Sonic Dragolgo die liebreizende Seite in sich selbst entdecken. Er überrascht nun mit minimalistischem Süßstoff, der klingt wie die frühen Air bei einer Probe für Demoaufnahmen.

Das Prinzip der Netzwerkbildung ist in Berlin nichts Neues. Doch wo der Impetus dahinter sonst meist Bündelung und Zentrierung ist, möchte „Gerdas neue Gruppe“ musikalische Projekte am äußersten Rand der Aufmerksamkeitsökonomie miteinander zwar verlinken, sie aber dennoch dort „draußen“ angesiedelt belassen. Anstatt neuer Mitte will man lieber die musikalischen Außenbezirke Berlins stärken. Bands und Projekte wie Ström, Leafcutter John, Jayrope oder Montag werden trotz ihrer unterschiedlichen Arbeitsweisen und jenseits musikalischer Fragestellungen wie Elektronik, Gitarren oder was dazwischen für eine Momentaufnahme miteinander in Verbindung gebracht, ohne ihre wahren Identitäten hinreichend preiszugeben.

Dass zu Gerdas großer Gruppe auch eine Band wie Ström gezählt wird, die es gar nicht mehr gibt, verortet die Compilation noch zusätzlich in einem Außerhalb. Nicht nur der Raum wird entgrenzt, sondern auch die Zeit. Man wird sozusagen posthum nochmals darauf hingewiesen, dass es auch hinter den Kulissen des hippen Berlins schon seit Jahren gute Musik gegeben hat, die nur leider niemand hören wollte.

Der melancholische Unterton der ganzen Platte, das völlige Fehlen von Aufbegehren, lässt dann zwar schnell den Schluss zu, dass man bei Klangkrieg angesichts der bestehenden Verhältnisse langsam resigniert. Doch diese Falle wurde mit Bedacht gestellt. In Wahrheit ist all das Heulsusige und der scheinbare Rückzug in ein Berlin, das die Hauptstadt eines eigenen, beinahe utopischen Paralleluniversums ist, reinste Camouflage.

Wer von „Gerdas große Gruppe“ angefixt wird und weiterhört, wird recht schnell feststellen, dass beinahe sämtliche hier versammelten Acts nicht nur sanft wie ein schnurrender Kater am offenen Kamin klingen können, sondern laut bis brutal. Der wahre Klangkrieg findet statt, nur jenseits dieser Compilation.“