Sie haben dem Cowboy die Brücke geflickt Sechs Jahre Kampf gegen den Mainstream: die Berliner Veranstalter und Labelbetreiber “Klangkrieg”

go back to Porträt | Kritiken

Sie haben dem Cowboy die Brücke geflickt Sechs Jahre Kampf gegen den Mainstream: die Berliner Veranstalter und Labelbetreiber “Klangkrieg”

Sie haben dem Cowboy die Brücke geflickt Sechs Jahre Kampf gegen den Mainstream: die Berliner Veranstalter und Labelbetreiber "Klangkrieg"
Autor: Holger in't Veld | Feuilleton-Berliner Zeitung
01 August 2002

“Mit reinem Orchesterklang neue Musik zu vermitteln, ist in einer soundorientierten Zeit wie der unseren fast unmöglich. ” Christoph Winkler (Klangkrieg)


Der Eklat war schon gebucht. Man stelle sich vor: Kurz nach dem 11. September 2001 veröffentlicht ein kleines Berliner Label eine CD, auf der sich Musiker aus 34 Ländern unter dem Titel “The World Against America” versammeln. Vertreter aus Europa, Südafrika, Australien und Japan lärmen und feiern gegen die gerade ins Herz getroffene Supermacht, das Ganze initiiert mitten in der deutschen Hauptstadt. Hätten nicht einige von den beteiligten Künstlern schon vor den Anschlägen Bedenken gegen den Titel geäußert und ein paar Nachzügler das Projekt schließlich soweit verzögert, dass die Geschehnisse alles veränderten. dann wäre das zu allem Überfluss Sondern steckbrieflich gesucht. So aber wurde der plötzlich zum Politikum gewandelte Tonträger – eine Remix-Version der vor zwei Jahren veröffentlichten Doppel-CD “American Breakbeat” – erst auf Eis gelegt und schließlich zur Solidaritätsbekundung umdefiniert. Statt “Against” heißt es jetzt “Rebuilt” – und der Cowboy, der auf dem Cover von “American Breakbeat” noch samt Pferd in eine Schlucht stürzt, ist gerettet, die gerissene Brücke repariert.

Wenn Christoph Winkler von diesen dramatischen Entscheidungen erzählt, scheint es, als wäre ihm der ursprüngliche Name lieber gewesen. Der Chefprogrammatiker des Berliner Veranstaltungs- und Labelverbunds ist ein eloquenter Querkopf und Krieg sein alltägliches Geschäft. “Das Erschreckende am Krieg”, sagt er, “ist ja der Klang, der nicht aufhört, nicht leiser wird. Dann war dieses Geräusch in der Welt und dann gab es Noise.” Winkler bezieht sich dabei auf einen zwanzig Jahre alten Text von Friedrich Kittler, in dem dieser die technischen Wurzeln der Popkultur als Kriegsbeute bezeichnet. “Wenn man bedenkt, dass der Stereoeffekt entwickelt wurde, um die V1 und V2 an ihr Ziel zu lenken, ist das ja eine positive Entwicklung.”

Von der Krachfaszination der Futuristen über die Soundkaskaden von Jimi Hendrix und die Eruptionen des Free Jazz zieht sich diese positive Entwicklung bis zu jenen jüngeren Künstlern, die Winkler zusammen mit Janet Krenzlin seit sechs Jahren auf Alboth, Merzbow, Jim O Rourke, Squarepusher – allerlei harsches, spitzkantiges, dissonantes und improvisiertes Material von den Rändern der Genres und der Popkultur wurde von den Klangkriegern zum ersten Mal nach Deutschland geholt. Der dazugehörige Ort war damals, 1996, noch die Insel der Jugend in Treptow; hier wurde auch der Name Klangkrieg – als Eindeutschung von “Soundclash” – gefunden.

“Wir wollten uns”, sagt Winkler, der hauptberuflich als Tanztheater-Choreograf arbeitet, “weder in diesen dogmatischen akademischen Zirkeln situieren noch in der konventionellen Partykultur. Die Popmusik kann nicht wirklich komplex strukturell arbeiten, und die E-Musiker haben keine Erfahrung mit Sounds. Mit reinem Orchesterklang neue Musik zu vermitteln, ist in einer soundorientierten Zeit wie dieser fast unmöglich.” Winklers Lösung ist die Kombination: Bei den Klangkrieg-Veranstaltungen treffen Noiserocker auf Kammerorchester; oder ein Oberton-Chor aus der Mongolei singt zum Synthie-Trash der englischen DMX Crew. “Da traf sich die traditionalistische Elite mit der popkulturellen”, grinst Winkler. Der Wunsch, diese Momente festzuhalten, führte schließlich zum Label: Erst wurden mitgeschnittene Einzelstücke veröffentlicht, dann eine Vinyl-Serie namens “Connected”.

So entstanden immer mehr Genre- und Grenzen-überschreitende Kollaborationen, und wie alle, die im Indie-Zirkel ihr Geschäft nicht nur idealistisch, sondern auch zuverlässig betreiben, konnten sich die Berliner nach kurzer Zeit vor Angeboten kaum Parallel gerieten auch die bespielten Clubs in den Einzugsbereich der Pop-Kultur. Von der Insel, die “immer mehr zum Jugendclub geworden war” (Krenzlin), ging es weiter Richtung Mitte: Erst wurde die Maria und schließlich der Bastard zum Ort für das Klangkrieg-Programm. Für den Bastard buchte man vor allem die US-Laptop-Szene um Kid 606 und Matmos; die Werkschau dieser Konzerte, “American Breakbeat”, verschaffte dem Label seine bislang größte Aufmerksamkeit.

Was die Live-Präsentation der Bildschirmarbeiter angeht, so würde Winkler die beschworenen Geister allerdings gerne wieder los. “Vor drei Jahren war es noch lustig, wenn jemand seinen Laptop aufgeklappt hat, statt eine Platte aufzulegen. Aber wenn da jetzt einer sitzt und aussieht, als würde er seine E-Mails checken, gehe ich nach Hause.” Aber mehr als die Hälfte der Klangkrieg-Konzerte stehen jedenfalls in klassischer Indie-Tradition und auch die unlängst erschienene Kopplung “Gerdas große Gruppe” zeigt mit ihrer verwehten Gitarrenmelancholie, dass bei den Klangkriegern neben den “Für die Vertriebe”, sagt Winkler, “müssen kleine Labels stromlinienförmig sein. Wenn du da erst Drum n Bass, dann Elektronik und dann jemanden mit einer Akustikgitarre veröffentlichst, dann werden die verrückt.”

Ähnlich dürften sich ungeübte Hörer allerdings auch nach Genuss der 34 Miniaturen von “Rebuilt” fühlen. Dabei ist der Titel Programm: viele der zerfaserten US-Originale wurden in Estland und Mexiko zu melodischen Kleinoden umprogrammiert. Erstaunlich ist aber nicht nur die klangliche Vielfalt trotz elektronischer Globalisierung, sondern auch, wo es überall Menschen gibt, die am Rechner Musik zusammenbasteln. Winkler erzählt von dem peruanischen Teilnehmer, der nur ein paar Stunden am Tag Strom für seine Geräte bekommt, und dass man alleine mit den Beiträgen aus Südafrika eine eigene Compilation hätte füllen können.

Wie es überhaupt nicht an musikalischen Angeboten mangelt, die die Klangkrieger veröffentlichten könnten – neben ihren Tagesjobs und aus dem Schlafzimmer heraus, versteht sich. Eine Situation, an der sich so bald nichts ändern wird: Den Skandal hat man sich ja verkniffen, und so wird auch die delikate Schnipselkunst von “Rebuilt” nur mühevoll ihren Weg in die Geschäfte finden. Der tägliche Kampf geht weiter. Aber “ein Krieger”, so Winkler trotzig “ist ja auch jemand, der neues Terrain entdeckt, territorial arbeitet, vorwärtsgeht.”

V.A.: American Breakbeat Rebuilt (Klangkrieg/A-Musik)