Army of Noise
Klang als Waffe im Kampf gegen Establishment: Das ist eine Vorstellung, die auf William S. Burroughs zurückgeht. Mit Burroughs wundert man sich also darüber, dass „Klangkrieg Prod.“ – eines der „anarchischsten Musik- und Partykonzepte Berlins“ (Ankündigung) – aus dem Maria ins Podewil umzieht. An einen Ort also, wo Subversion und Underground ansonsten nur in einem sauber gebürsteten Avantgardemäntelchen eingelassen wird. Anarchie im Hoch‐kultur-Tempel?
Schon seit Jahren holen „Klangkrieg Prod.“ Musiker mit extremen Klangvorlieben aus aller Welt nach Berlin und schleudern sie in Themenabend-Paketeneinem verstörten Publikum entgegen. Die „Klangkrieg“-Nächte auf der Treptower Insel, bei denen sich der idyllisch gelegene dreistöckige Club jedes Malin einen infernalischen Krach-Hades verwandelte, sind legendär: Auf derHauptbühne fabrizierten Japaner ohne eine Miene zu verziehen rabiatestenMaschinenterror, im Keller legten DJs derartig harten Drum & Bass oder Gabba auf, als gehörten ihre Plattenspieler zum notwendigen Inventar einerFolterkammer, und im Dachgeschoss legte jemand auf, dessen Plattensammlung aus CDs mit Bohrmaschinensymphonien besteht.
Als dann vor einiger Zeit das Maria am Ostbahnhof eröffnete, zogen dieKlangkriege dort ein. Der Sinn für Experimente passte besser zum Konzept der Maria als in einen Jugendclub, und der Friedrichshain lag für alle Beteiligten strategisch günstiger als Treptow. Wahrscheinlich hat gerade das Angekommensein in einer Art Heimat bei „Klangkrieg Prod.“ wieder einmal denImpuls ausgelöst, etwas Neues auszuprobieren: In der Maria muss man nichtmehr groß etwas bewegen, die bewegt sich schon von selbst.
Ganz anders das Podewil. Dort versucht man schon seit Jahren nicht mehr,mit dem hauseigenen Programm verkrustete Strukturen aufzubrechen – das ist längst geschehen – sondern vielmehr die verkrustete Oberflächenwahrnehmung des Podewil selbst aufzubrechen: „Das schlimmste Vorurteil ist immer noch, von einem typischen Podewil-Publikum zu sprechen. Es gibt kein typisches Podewil-Publikum“, erläutert Elke Moltrecht, die für das Programm verantwortlich ist. Doch der Mythos vom inzestuösen Avantgardebetrieb lastet immer noch tonnenschwer über dem Podewil, trotz aller Versuche, ein hedonistisches Club-Publikum in den eigenen Laden zu locken: Hier tarnt sich Hochkultur als Avantgarde, lautet der Vorwurf.
In Wirklichkeit hat das Podewil in den letzten Jahren einige Programmreihen und Konzerte konzipiert, die ein viel größeres Interesse aus der Club-Szene verdient hätten. Allein: Das Podewil kann mit noch so großartigen Events aufwarten, die Atmosphäre blieb die einer verknöcherten Kulturstätte: nur selten Getränkeverkauf im Haus, vor dem Konzertraum Damen, die wie imStaatstheater Karten abreißen, Amtsgebäudemuff allenthalben.
„Deshalb haben wir Bedingungen gestellt“, so Christoph Winkler, der zusammen mit Janet Krenzlin den harten Kern von „Klangkrieg Prod.“ bildet und nun Podewil gemäß „Kurator“ genannt wird: „Es wird vor dem Konzertraum einen Getränkeausschank geben, die ganzen Sitze werden draußen sein und das Einlasszeremoniell wird wegfallen.“ Eher ein Scorpions-Konzert als ein John-Cage-Abend so zusagen.
Mit der Praxis, einfach nur großzügig die eigenen Räumlichkeiten für subkulturelle Aktivitäten zur Verfügung zu stellen– wie das die Volksbühne immer wieder erfolgreich praktiziert – hat „Podewil feat. Klangkrieg“ nach Ansicht von Elke Moltrecht nichts zu tun: „Die Klangkriege finden im Rahmen unserer schon seit längerem laufenden Reihen ,MontagsMusik‘ und ,Musik imKlub‘ statt. Es geht uns einfach darum, die spannendsten Entwicklungen aus dem Bereich der elektronischen Musik zu präsentieren. Und die kommen seitJahren eben aus dem Club-Kontext.“
Dennoch ist unübersehbar, dass hier die Szeneintegrität von „KlangkriegProd. “ins Podewil importiert werden soll. Christoph Winkler: „Elke Moltrecht beobachtet schon länger unsere Aktivitäten. Dabei ist ihr nicht entgangen,dass teilweise zu denselben Künstlern im Podewil dreißig zahlende Zuschauer kamen, bei uns dagegen dreihundert“.
Jedenfalls kann sich das Ergebnis der Kollaboration sehen lassen. Die Spex fand die Sache so anregend, dass sie gleich eine vierseitige Nachbetrachtung plant und sogar die Monthly Bible für abenteuerliche Musik, das englische Magazin Wire, wird darüber berichten: Vom abstrakten Dekonstruktions-Technoder Pariser ElectroniCat bis hin zum persönlichen Steckenpferd von Christoph Winkler und Janet Krenzlin, dem Rotterdamer Speedy J., ist hier für wirklich jede Vorstellung von Abseitigem etwas dabei.
Ob es weitere Veranstaltungen von „Klangkrieg Prod.“ auf dem Boden desEstablishments geben wird, ist noch offen. Christoph Winkler spricht auf je‐den Fall von einem „Festival“ und nicht von einer längerfristigen Reihe. Ihm und Janet Krenzlin geht es vor allem darum, sich ein paar Träume erfüllen zu können. Janet Krenzlin: „Wir laden die Künstler immer extra für unsere Veranstaltungen ein. Die meisten von denen sind viel zu obskur, um auf eine reguläre Tour nach Deutschland zu kommen. So müssen wir ihnen extra denFlug und alles drum herum bezahlen. Da muss man aus Kostengründen hin und wieder einfach Abstriche im Programm machen.“
Darum ist im Podewil – „die haben einfach Geld“ – auch Speedy J. dabei: bisher ein unbezahlbarer Wunschkandidat.