Hinter den Linien

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Hinter den Linien

Autor: Christoph Winkler | text in German only
01 June 2003

Hinter den Linien ist ein Tanzstück über Krieg und Kultur als eine der spektakulärsten Beziehungen in der Geschichte menschlicher Existenz. Kulturelle Praktik und kriegerisches Handeln durchdringen sich gegenseitig und das oft mit einer Durchlässigkeit die verblüfft und deren Spuren man über lange Zeiträume verfolgen kann. Der Tanz bzw. die Tanzkunst bildet da keine Ausnahme. Der Chiasmus Krieg und Kultur kann ohne weiteres umgeschrieben werden in Militär und Tanz ohne an Deutlichkeit zu verlieren, im Gegenteil gerade dieses Paar geht mitunter eine Liaison ein die gespenstisch ist. Damit meine ich die spezielle Beziehung von Tanz und Militär in der frühen Neuzeit oder um eine zwar undeutlichere aber bekanntere Etikettierung zu verwenden: in der Zeit des Barock. Die europäischen Höfe des 16. Jahrhunderts binden auf eine historisch einmalige Art und Weise Tanz in ihre Etikette und höfischen Rituale ein, die in den ausgefeilten theatralen Inszenierungen Ludwig des 14. ihren Höhepunkt erreichen. Kommunikation und Bewegung werden streng kodifiziert, zerlegt und symmetrisch angeordnet. Geometrie wird zur „barocken Verhaltensnorm“ (H.Eichberg) und scheint der Schlüssel zur Beherrschbarkeit des komplexer werdenden gesellschaftlichen Lebens zu sein. Es beginnen starke Disziplinierungsprozesse die vor allem die Körper einem starken Gestaltungswillen unterwerfen. Körper gelten als gelehrig, als form- und somit bezwingbar. Das führt im Tanz zur strengen Formung der Figuren im Raum als auch zur Zerlegung tänzerischer Abläufe in kleinste Teileinheiten. Das gilt in gleicher Weise auch für das Militärwesen, das in dieser Zeit beginnt das Exerzieren in völlig neuartiger Weise zu entwickeln. Die rekrutierten Soldaten werden darin einem Drill unterzogen mit dem Ziel das Individuum in einem taktischen Körper verschwinden zu lassen. Die Bewegungen des Exerzierens hatten (und haben) keinen unmittelbaren militärischen Sinn, denn es war nahezu unmöglich komplexe taktische Figuren (Evolutionen) wie bspw. ein hohles Oktagon während einer Schlacht in unwegsamen Gelände zu wiederholen. Es ging dabei in erster Linie um Disziplinierung. So ist es nur folgerichtig, dass das Exerzieren ästhetische Qualitäten seine Zeit mit einbezieht und die vor allem im Tanz findet. Umgekehrt finden formale Merkmale des Militärwesens natürlich auch ihren Weg zurück in den Tanz. Das beginnt bei der Grundstellung von Tänzern und Soldaten die zeitweise identisch ist, geht über das Einfügen von Exerzierfiguren der „Zierlichkeit“ wegen bis hin, zur vom Marschieren übernommenen Betonung der ersten Taktzeit auf dem linken Fuß. Die sind nun nur einige der besonders deutlichen Zeichen der Durchdringung von Tanz und Militär. Man könnte nun noch einen Schritt weitergehen und die Schlachten dieser Zeit als Choreographie lesen, denn der Denkvorgang Truppenteile von A nach B zu führen unterscheidet sich zunächst gar nicht von der eine Gruppe von Tänzern zu führen. Das Ziel bleibt die „Aufführung“ und das Publikum bzw. den Feind zu beeindrucken (In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt das Militärhistoriker in dieser Epoche erstmals das Auftreten einer „Ermattungsstrategie“ (H.Dellbrück) beschreiben, da es öfters nur zu ausgedehnten taktischen Manövern und nicht zur Schlacht kommt)

Somit wird klar dass es in diesen Schlachten um im Raum wandernde, ständig neue Figuren bildende, Linien, Punkte und Körper geht und das kann man nicht nur Schlacht sondern auch Tanz nennen.

Der Seiten – Pas nach der rechten Hand (nach Gottfried Taubert)

  1. Wenn man den rechten Fuß vorn, oder auch hinten an dem lincken Fusse gebogen angeleget hat, so coupiret man damit nach der rechten Hand zu, und ziehet im Heben den lincken vorn steiff an den rechten ;
  2. Führet ihn wolgestreckt und so weit hinter den rechten, daß die Spitze biß an den Absatz zu stehen kömmt
  3. Setzet den rechten nach der rechten Hand seitwärts gegen des lincken Ferse über steiff weg
  4. Und coupiret mit dem lincken entweder hinter, oder auch vor den rechten.

Das Gewehr auff die Schulter ! (Reglement für die Königlich Preußische Infanterie)

  1. Man tritt mit dem rechten Fuß geschwinde herum gegen den lincken Fuß, die linke Hand hebet im herumdrehen das Gewehr gleich dem Kopffe, die rechte Hand wird loßgelassen, und fasset das Gewehr unter dem Hahn, und, in dem die rechte Hand das Gewehr fasset, wird die lincke Hand losgelassen…
  2. Man bringet geschwinde und zugleich das Gewehr auf die Schulter, und wird getragen wie schon vorher weitläuffig erwehnet worden ist.
  3. Man wirfft die rechte Hand sehr geschwinde weg und lässet sie mit ausgestecktem Arm herunter hangen.

Wie die Geometrisierung der Fortifikation, so macht auch die Ausgestaltung des Tanzes zu einem geometrischen Raumkunstwerk nicht den Eindruck einer planvollen Entwicklung. Es war nicht eine bewußte Schöpfung, sondern entwickelte sich über Jahrzehnte, über ein Jahrhundert, bis es in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts im Menuett eine für ein weiteres Jahrhundert gültige Form enthielt.

Die Behauptung einer Spontanität und Planlosigkeit des Vorgangs kann auch aufrecht erhalten werden, obwohl im Beginn des Balletts – das im Barock noch bewegungsmäßig vom Gesellschaftstanz nicht getrennt war – ein bewußter Versuch des Geometriekults stand: das Ballet de Cour. Dieses entwickelte sich seit 1570 in Paris aus dem höfischen Fest der Renaissance. Poeten und Musiker des königlichen Hofes schlossen sich hier zu einer Akademie zusammen, um die schönen Künste der Musik, der Poesie und des Tanzes unter einem gemeinsamen Überbegriff, der Geometrie, neuzuordnen…Mathematik, Astronomie, Astrologie, Weltharmonik, Sphärenharmonie, musikalische Harmonie – all dies floß hier zusammen und verband sich mit einem harmonikalen Konzept auch von der Politik. Der König, der in Frankreich gerade seine absolute Herrschaft zu festigen im Begriff war stand im Mittelpunkt des Balletts…Diese Ballette nannte man von da an geometrische Ballette…

Erneut deutlich wurde schließlich die geometrische Verhaltensorientierung in einem Übungskomplex, der ein Verbindungsglied bildete zwischen den Exerzitien als Leibesübungen und dem militärischen Verhalten: im Exerzieren. Seit dem ausgehenden 15.Jahrhundert ist das Einüben von taktischen Formationsänderungen belegt…Mit der Reform des Kriegswesens durch die Oranier seit 1590 bekam der Drill auf Formationsveränderung dann eine größere Bedeutung, da jetzt das massive Geviert durch kleinere bewegliche Einheiten ersetzt wurde. Die Herausbildung der Lineartaktik im 17.Jahrhundert schloß diesen Prozeß ab. (H.Eichberg)

Alle eure Schritte und alle eure Taten zollen den Augen der Zuschauer Tribut und zeigen ihnen das Gute wie das Schlechte, womit die Kunst und die Natur eure Person begünstigt und benachteiligt hat. So verdient der Ball wohl etwas Anstrengung, und ein Ehrenmann befleißige sich daher, keine Fehltritte zu machen. (De Pure 1668)

Der historische Augenblick der Disziplinen ist der Augenblick, in dem eine Kunst des menschlichen Körpers das Licht der Welt erblickt, die nicht nur die Vermehrung seiner Fähigkeiten und auch nicht nur die Vertiefung seiner Unterwerfung im Auge hat, sondern die Schaffung eines Verhältnisses, das in einem einzigen Mechanismus den Körper um so gefügiger macht, je nützlicher er ist, und umgekehrt. So formiert sich eine Politik der Zwänge, die am Körper arbeiten, seine Elemente, seine Gesten, seine Verhaltensweisen kalkulieren und manipulieren. Der menschliche Körper geht in eine Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt… Die Disziplin fabriziert auf diese Weise unterworfene und geübte Körper, fügsame gelehrige Körper. (M.Focault)

Das Stück enthält Schrittfolgen, Exerzierkommandos, Texte und Anregungen aus folgenden Quellen, deren Verfassern hiermit recht herzlich gedankt sei.

Der historische Augenblick der Disziplinen ist der Augenblick, in dem eine Kunst des menschlichen Körpers das Licht der Welt erblickt, die nicht nur die Vermehrung seiner Fähigkeiten und auch nicht nur die Vertiefung seiner Unterwerfung im Auge hat, sondern die Schaffung eines Verhältnisses, das in einem einzigen Mechanismus den Körper um so gefügiger macht, je nützlicher er ist, und umgekehrt. So formiert sich eine Politik der Zwänge, die am Körper arbeiten, seine Elemente, seine Gesten, seine Verhaltensweisen kalkulieren und manipulieren. Der menschliche Körper geht in eine Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt… Die Disziplin fabriziert auf diese Weise unterworfene und geübte Körper, fügsame gelehrige Körper. (M.Focault)

Das Stück enthält Schrittfolgen, Exerzierkommandos, Texte und Anregungen aus folgenden Quellen, deren Verfassern hiermit recht herzlich gedankt sei.

Thoinot Arbeau Orchésographie et traité en forme de dialogueAlbert Czerwinski „Die Tänze des 16.Jhd.“ Nachdruck der Ausgaben Lengres o.J. 1588 und Danzig 1878

Balthasar de Beaujoyeux „Le Balet Comique de la Royne“ 1581

Andreas Gryphius „Sonette“ in Gesamtausgabe Tübingen 1962

G.U.A.Vieth „Encyklopädie der Leibesübungen“ 1795

Hannß Friedrich von Fleming „Der Vollkommene Teutsche Soldat (…) Leipzig 1726

Gottfried Taubert „Rechtschaffender Tanzmeister“ Leipzig 1717

Wilhelm Rüstow „Geschichte der Infanterie“ Gotha 1857

Hans Delbrück „Geschichte der Kriegskunst“ Berlin 1920

Karl Gaulhofer „Die Fußhaltung ein Beitrag zur Stilgeschichte der Menschlichen Bewegung“ Kassel 1930

K.H.Taubert „Barock-Tänze, Geschichte, Wesen und Form“ Zürich 1987

K.H.Taubert „Höfische Tänze“ Mainz 1968

C.H.Herrmann „Deutsche Militärgeschichte“ Frankfurt a.M. 1966

H.Eichberg „Geometrie als barocke Verhaltensnorm. Fortifikation und Exercitien“ in Zeitschrift für historische Forschung Bd. 4 1977

Rudolf zur Lippe „Naturbeherrschung am Menschen“ Frankfurt a.M.1974

Daniela Stocks „Die Disziplinierung von Musik und Tanz“ Opladen 2000

Norbert Elias „Die höfische Gesellschaft“ Frankfurt a.M. 1983

Volker Saftien „Ars Saltandi – Der europäische Gesellschaftstanz im Zeitalter der Renaissance und des Barock Olms 1994

Harald Kleinschmidt „Tyrocinium Militare – Militärische Körperhaltungen und –bewegungen im Wandel zwischen dem 14. und dem 18.Jahrhundert, Stuttgart 1989

Harald Kleinschmidt „Mechanismus und Biologismus im Militärwesen des 17. und 18.Jahrhunderts. Bewegungen – Ordnungen – Wahrnehmungen in D.Hohrath/K.Gerteis (Hg.) „Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft“ Hamburg 1999

Peter Englund „Die Verwüstung Deutschlands – eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Stuttgart 1998

Martin Dinges „Soldatenkörper in der frühen Neuzeit“ in R.van Dülmen (Hg.) Körper-Geschichten, Frankfurt a.M. 1996

Vera Jung „Körperlust und Disziplin“ Studien zur Fest- und Tanzkultur im 16.und 17.Jahrhundert Köln 2001

Vera Jung „Die Zähmung des Körpers durch Tanz“ in R.van Dülmen (Hg.) Körper-Geschichten, Frankfurt a.M. 1996

Bernhard Kroener „Kriegsgurgeln, Freireuter und Merodebrüder“ in W.Wette (Hg.) Militärgeschichte von unten München 1992

Jürgen Kuczynski „Der Alltag des Soldaten (1650-1810) in W.Wette (Hg.) Militärgeschichte von unten München1992

C.von Grimmelshausen „Der abenteuerliche Simplicissimus“ Stuttgart 1985

R.Braun/D.Gugerli „Macht des Tanzes – Tanz der Mächtigen“ Hoffeste und Herrschaftszeremoniell 1550 – 1914 München 1993