Im Antrags-Dauerlauf

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Im Antrags-Dauerlauf

Christoph Winkler ist im zeitgenössischen Tanz eine feste Größe. Nun wird er mit dem Deutschen Tanzpreis 2022 ausgezeichnet.
Autor: Elena Philipp | text in German only
01 August 2022

Seit mehr als 25 Jahren produziert Christoph Winkler kontinuierlich, rund 90 Arbeiten verzeichnet seine Webseite, die zugleich sein Archiv ist. Breit ist sein thematisches Spektrum, und stets sind seine Stücke dem gesellschaftlichen Diskurs ein Stück voraus. Über die Rechtsextreme Beate Zschäpe und den RAF-Terroristen Andreas Baader hat er choreografisch nachgedacht, über Krebsforschung, Postkolonialismus, Shakespeare und Gewalt, das erste afrikanische Raumfahrtprogramm oder über seine Adoptivtochter. Von HipHop und Ballett, die für den studierten Choreografen biografisch eine Rolle gespielt haben, bis zu außereuropäischen Tanzstilen wie Haka spannt sich sein Interesse. Im Mai wurde Christoph Winkler, gemeinsam mit dem Choreografen und Ballettdirektor der Staatsoper Hannover Marco ­Goecke, mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet. 2014 hatte er bereits einen FAUST Theaterpreis erhalten und 2020 den Tabori Preis. Trotzdem ist seine Company Christoph Winkler ein nomadisches, prekäres Unterfangen geblieben. Woran das liegt, erzählt er im Gespräch mit tanzraumberlin.

Interview: Elena Philipp

Christoph, Du sitzt zum Zoomen gerade in Eurem Studio in einem ehemaligen Elektrounternehmen in Lichtenberg. Einer Eurer beiden Räume ist kürzlich verwaltungsseitig ausgeschrieben und vergeben worden. Was bedeutet das für die Company Christoph Winkler?

Christoph Winkler: Seit der Vermieter vor zweieinhalb Jahren eine Mieterhöhung um das Dreifache signalisiert hat, haben wir mit dem Senat und den Zuständigen nach einer Lösung gesucht. Die ist dann auch gelungen: Die Kulturraum Berlin GmbH übernimmt unsere beiden Räume ins Arbeitsraumprogramm. Wir haben den großen Raum abgegeben, den im Juryentscheid der Choreograf Jefta Van Dinther bekommen hat, und haben uns auf den kleineren Raum zurückgezogen. Wir verlieren nicht unseren Ort und jemand Neues kann dazukommen.

Angesichts der dramatischen Raumsituation in Berlin klingt das sehr gefasst. Wie steht es um Eure Finanzierung?

Christoph Winkler: Finanziell ist es wie gehabt: Wir bekommen die vierjährige Konzeptförderung des Landes Berlin, die wir 2023 neu beantragen müssen. Um finanziell über die Runden zu kommen, muss ich für unsere Projekte Antrags-Dauerlauf machen. Mit dem Corona-Programm NEUSTART KULTUR sind zusätzliche Förderinstrumente dazugekommen. Tanz.Digital oder #TakePart, mit dem wir die Webseite für das Projekt Environmental Dance zur Klimakrise finanziert haben, hat bei uns schon eine gewisse Entwicklung ausgelöst. Teil dieses finanziellen Deals ist allerdings, dass ich Bauarbeiten noch selbst mache und den Boden im neuen Studio verlege.

Auch das klingt eher nach Verwalten des Mangels denn nach Vergnügen am Handwerk.

Christoph Winkler: Naja. Dazu haben wir von der AG Konzeptgeförderter Gruppen, die schon lange in Berlin arbeiten, ein Positionspapier verfasst, das wir dem LAFT übergeben haben. Darin geht um den Rückgang der institutionellen Förderung, um die Alterspyramide in den freien darstellenden Künsten und um Generationengerechtigkeit. Die Situation ist für uns alle ähnlich – ob She She Pop, das Solistenensemble Kaleidoskop oder Gob Squad: Wir sind mit dem Dauerbeantragen von Fördergeldern beschäftigt. Die Hauptförderung reicht nicht aus, und obwohl man ein Votum für seine Arbeit bekommen hat, muss man von Jury zu Jury ziehen. Da sollte Berlin tatsächlich sagen, okay, wir haben viele große Häuser, wir haben aber auch einen über Jahrzehnte gewachsenen Block freier Gruppen mit einer großen Power und mit großem Erfolg, um den wir uns kümmern müssen.

Die 10.000 Euro aus dem Deutschen Tanzpreis sind da sicher nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Inwiefern haben solch renommierte Preise positive Auswirkungen – eine höhere Förderung, weniger Antrags-Dauerlauf, mehr Anfragen?

Christoph Winkler: Ich freue mich natürlich, keine Frage. Nach der Erfahrung der anderen Preise erwarte ich aber keinen Freifahrtschein. Die ersten Ablehnungen für Anträge kommen auch schon wieder rein. Entscheidend wäre, mit der Förderung anders zu reagieren, so wie wir das in unserem Positionspapier vorschlagen.

Wie schafft Ihr es, unter diesen finanziell engen Bedingungen auch noch Gelder und Ressourcen an Künstler*innen und Initiativen in anderen Ländern weiterzugeben? Während der Pandemie habt Ihr im Projekt Environmental Dance Videoaufträge zum Thema Klimakatastrophe in alle Welt vergeben, nach Burkina Faso, Kolumbien, Japan, Tunesien, auf die Philippinen.

Christoph Winkler: Wenn man mit Leuten aus dem Globalen Süden zusammenarbeitet, sollten sie auch etwas davon haben, im Sinne von Nachhaltigkeit für ihre Struktur. Bei Environmental Dance kommt noch dazu, dass die Interviews und Videos dem Thema entsprechend lokal produziert werden müssen.

Erklärst Du kurz das Anliegen des Projekts?

Christoph Winkler: Wir sammeln auf der Webseite Umwelt-Tanz-Videos aus aller Welt, auf einem Globus mit aktuellen Klimadaten, den uns das Geographische Institut der Universität Bern programmiert hat. Der Klimawandel und die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen beschäftigen die Menschen in allen Teilen der Erde. Unserer Meinung nach kann der Tanz die Suche nach einem nachhaltigeren Umgang mit unserer Umwelt begleiten. In vielen Kulturen gibt es Tänze, die das Verhältnis der Menschen zur Natur ausdrücken – Erntedanktänze, Tiertänze oder Rituale wie das Regenmachen, die auf genauer Beobachtung der Natur und einem Wissen um die lokalen Ökosysteme beruhen. Dieses Wissen teilen die Kolleg*innen bei Environmental Dance mit uns. Ich reise nicht mit einer Crew um die ganze Welt, sondern sie nutzen die eigene Struktur oder bauen sie auf. So wie der Tänzer Ahmed Soura, der in Burkina Faso mit den in Europa verdienten Gagen seit einigen Jahren ein eigenes Produktionshaus errichtet, oder Robert Ssempijja, der für ein ähnliches Vorhaben in der Region von Luanda Land gekauft hat. Das unterstützen wir, so weit es uns möglich ist.

Ist das eine Art Entwicklungshilfe?

Christoph Winkler: Auf die Dauer erhöhen diese lokalen Vorhaben die Sichtbarkeit im eigenen Land. Gerade in Ländern Afrikas geht es auch darum, klar zu machen, dass Tanz und Choreografie ökonomisch ein Beruf sein können. Umgekehrt ist die Zusammenarbeit auch für uns sehr bereichernd, weil wir mitbekommen, wie groß und divers die Tanzszene weltweit ist.