Schocks aus der Zukunft. Neue elektronische Musik im Podewil: “Klangkrieg” bis an die Schmerzgrenze
Auch der Underground ist nicht umsonst. Im Podewil breitete sich in diesen Wochen im Rahmen der “MontagsMusik” und “Musik im Klub” ein “Festival” aus, das sich mit dem Geld der kulturellen Institution immerhin Träume erfüllen konnte. Endlich konnten auch Ex-Techno-Stars wie Jochem Paap und sein aktuelles Projekt “Speedy J” eingeflogen werden. Für die Aussicht auf Future Funk nimmt man die nicht gerade hippe Atmosphäre des Podewils in Kauf. Unter dem Label “Klangkrieg” und als “anarchistisches Musik- und Partykonzept” aus Berlin angekündigt, zieht es seit knapp vier Jahren durch die Clubs. Janet Krenzlin und Christoph Winkler haben zunächst auf der Treptower Insel der Jugend und dann in der “Maria” am Ostbahnhof experimentelle, elektronische Musik aus aller Welt zusammengebracht, sogenannten “Avant-Pop” für alle.
Ein konzeptueller Rahmen, der versucht, das Bad ohne Kind auszuschütten, das heißt, die Berliner Szene nicht einfach nur um eine weitere vergnügliche Party zu erweitern und dabei die affektiven und explosiven Möglichkeiten der Popkultur einfach über Bord zu werfen. Wenn bei “Klangkrieg” bis jetzt nicht getanzt, sondern geklatscht wurde, sollte man dieses Konzept nicht mit der äußerst dünnen Cross-over/Lifestyle-Ideologie verwechseln, die von Institutionen wie den Kunstwerken nach dem Motto populär gemacht wurden: Jedem sein DJ/Künstler in der Kuschelecke des perfekten Ambientes.
Vielleicht um diesem omnipräsenten “fit for fun” auszuweichen, haben die Veranstalter von “Klangkrieg” bei den Events im Podewil offensichtlich besonderen Wert auf die Inszenierung gelegt. Der Große Konzertsaal als monumentale Bühne mit roten Samtvorhängen und zwei mehr symbolischen Spiegelkugeln auf beiden Seiten. Dass die Kriegsmetapher des Titels noch einmal in den runenhaften Tafeln des Logos wiederholt wird, ist allerdings ziemlich penetrant. Als Hauptakteure sind die diversen elektronischen Geräte auf der Bühne fest installiert, so dass die Musiker sich in gleitenden Übergängen ihrer bedienen können. Begleitet wird die Musik von großen Videoprojektionen, in denen sich Bilder über die Leinwand jagen.
Während man so im dunklen Zuschauerraum mehr liegt als sitzt und die Klänge mit den Bilder um die Aufmerksamkeit kämpfen, fallen einem plötzlich Details auf. Das Laptop ist endgültig zu einem Musikinstrument neben anderen aufgestiegen. Es ist nicht mehr die Maschine im Hintergrund, die die Klänge generiert und konserviert, sondern der zentrale Punkt auf der Bühne, von dem aus die meist männlichen Musiker die digitalen musikalischen Bewegungen steuern. Die Diskrepanz zwischen der Gewalt der vermeintlich chaotischen Sounds und Rhythmen und der ruhig vor den Tasten sitzenden und klickenden Figur, in deren Gesicht sich das fahle, bläuliche Licht des Monitors reflektiert, ist wie eine Metapher für die radikal veränderten Produktionsbedingungen von Musik. Zwei Plattenspieler und ein Mischpult sind nicht mehr die zentrale Kanzel, von der aus der DJ die “Party” predigt.
Die gute alte “Avantgarde” kommt in einer Art retroaktiver Reise zurück an die kulturelle Oberfläche der Gegenwart. Und das heißt im Fall der elekronischen Musik: Das Publikum setzt sich frontal vor die Bühne, hört und sieht zu, auch wenn die analogen Schallwellen ihm das Hirn wegzublasen drohen und die Videobilder die Augen in ihre Einzelteile zerlegen. Man kann musikalische Entwicklungen immer auch an der räumlichen Konstellation ablesen, in der die Musik produziert, rezipiert und reproduziert wird. Das heißt nicht, dass die Party als soziales Feedback am Ende wäre, aber sie beherrscht nicht mehr den gesamten Raum.
Die Kunst, mit den Ohren zu denken, könnte man die nicht ungefährliche Bemühung nennen, das Konzept des Clubs zu erweitern. Wenn alles Pop geworden ist, was ist dann überhaupt noch Pop? Was sind die aktuellen Möglichkeiten eines experimentellen Umgangs mit Technologien, die zu verbindlichen Aussagen gelangen wollen, ohne den technologie- und fortschrittsgläubigen Diskurs des Mainstream nachzubeten?
Störgeräusche, das Knistern, Summen und Rauschen – Dinge, die man unter “normalen”, das heißt kommerziellen Gesichtspunkten herausfiltern würde, rücken in den Vordergrund, strukturieren die Musik, bilden ihre Substanz und lassen konventionelle, musiksprachliche Formen nur widerwillig durchschimmern oder am Rande auftauchen. Aber nicht ohne sie zu stören, so dass sie als Konvention hörbar werden in dem Sinne, wie der englische Musikkritiker Kodwo Eshun das Verhältnis bestimmt hat: Musik und ihr Umgang mit neuen Technologien als erlebbare Schocks aus der Zukunft. Jedenfalls nicht mehr die von Melodien getragenen Geschichten eines Songs, die zur Identifikation mit dem Popstar einladen. Statt Authentizität Produktionszusammenhänge, die sich quasi in der Technologie selber “einnisten” und mit Wirkungen auf die Körper experimentieren.
“Let’s get dirty!”, schrie Dimitri Fergadis aus Los Angeles dem Publikum am ersten Abend entgegen und bombardierte es daraufhin subtil mit seinen Imploding-Beat-Deconstructions bis zur physischen Schmerzgrenze; kurz vor der Explosion befindliche Sounds, die sich unter dem Kryptogramm “Phthalocyanine” in die Gehörgänge schrauben und das Trommelfell auf eine Zerreißprobe stellen. In dem Moment wusste man, gegen wen sich der “Klangkrieg” richtet.