Tanzen beginnt mit einer Kopfbewegung
„Bevor man die Wahrnehmung des Zuschauers verändern kann“, überlegt Christoph Winkler, “muss sich erst die Körperwahrnehmung des Tänzers selbst ändern. Da muss man hart am Mann arbeiten“. Fast klingt er wie ein Trainer. Aber Winkler ist ein Choreograf, der es wissen will und den Tanz radikal befragt. „Wie kann ich tanzen, heute, auf der Höhe der Zeit und ohne 150 Jahre Tanzgeschichte zu leugnen?“.
Er kommt aus den Proben zu „Apparat“, einer Paraphrase auf ein Stück von Samuel Beckett, der ein bevorzugter Referenzpunkt der Tanzszene geworden ist. Winkler interessiert an Becketts „Apparat“ das Maximum an Vorhersehbarkeit der Abläufe, die er mit unterschiedlichen choreografischen Handschriften zusammenbringen will. „Mein Material hochtechnisch und geht für die Tänzerinnen bis an die Grenze der Möglichen. Er liebt die konträren Impulse, die den Körper aus der Bahn werfen und durch ein Kaleidoskop divergierender Richtungen jagen. Kein Koordinatensystem gibt dem Körper noch Sicherheit.
Doch das ist zugleich seine Unabhängigkeit und Freiheit.
Als Weg zu unvermuteter Schönheit zeigte sich diese Arbeitsform in dem Solo „F.A.Q.“, das Winkler für die Tanztage 2000 mit Bettina Thiel, damals Solistin der Staatsoper entwickelt hatte. Anmutig bot sie eine Bewegungsprache an, die ohne Mühe alle Floskeln der klassischen Technik hinter sich ließ und ein vibrierendes Spektrum von Neuinterpretationen aufschloss. „The wandering problem“ mit Ingo Reulecke dagegen thematisierte das Verschwinden wieder erkennbarer Formen als einen identitätsbedrohenden Verlust.
In „Berst“, seiner letzten Arbeit für sechs Tänzerinnen, setzte Winkler den Tanz einer anderen Probe aus: Was wissen das Innenleben einer Tänzerin und ihre Formen voneinander? „Berst“ ist auf zwei Ebenen angesiedelt: Neben die ausgefeilten Bewegungen rückten biografische Erzählungen der Tänzerinnen, die sich aber nach ihren eigenen Aussagen nicht tanzen ließen. Gerade das nicht-Vermittelbare erzeugte eine eigene Spannung, eine Suche nach Durchbrüchen. „Da ging es um das unausgeschöpfte Erlebnispotenzial meiner Generation“, sagt der heute 34-jährige Choreograf.
Nach Reibungsflächen sucht er auch in der Theorie. Lesen gehört in den Arbeitsplan des Choreografen: Durs Grünbein, Peter Sloterdijk, neue Theaterstücke und Historien des Körpers.
Winkler begann mit 16 Jahren zu tanzen: Breakdance und Folklore in Torgau. Mit 18 ging er an die Staatliche Balletschule Berlin. Da er in seinen eigenen Stücken nie als Tänzer auftritt, haben ihn manche Veranstalter schon gefragt, ob er dann nicht wenigstens aus seinem schillernden Leben auf der Bühne erzählen will – angefangen von Spartakiade-Siegen im Gewichtheben und Judo bis zur bunten Palette seiner Jobs für Musikvideos, als Hardcore-Dj, Bodyguard und Party-Veranstalter. Doch „das findet mit Sicherheit nicht statt“, wehrt Winkler ab.
Die Tanztage haben ihn unterstützt, seit er sich vor drei Jahren für eine Existenz als freier Choreograf entschloss. Er eröffnet sie diesmal mit Holger Bey und dem aus Brasilien stammenden Aloisio Avaz.