Tanzpreis 2022 Christoph Winkler LAUDATIO
Lieber Christoph,
eine Laudatio auf dich zu halten – ist eine ziemlich komplexe Aufgabe. Denn eine Laudatio soll den Künstler/die Künstlerin nicht nur preisen und loben, sondern das künstlerische Werk anschaulich werden lassen – verbal, sprachlich.
Sie soll im Wort zusammenfassen, vielleicht auch zuspitzen, in jedem Fall deutlich werden lassen, was das Besondere an der Kunst des oder der Gewürdigten ist – und da müsste man über deine Arbeiten, Christoph, nun sehr, sehr lange und ausführlich sprechen. Nicht nur, weil dein choreografisches Werk inzwischen auf über 90 Produktionen angewachsen ist, sondern schlichtweg auch deswegen, weil es so enorm vielfältig, facettenreich und multithematisch ist – auch wenn zweifellos immer der Tanz als Medium des Ausdrucks im Mittelpunkt steht.
In der Begründung der Jury des diesjährigen Tanzpreises für die Wahl Christoph Winkler heißt es:
‚die künstlerischen Arbeiten Christoph Winklers umfassen ein weites Spektrum unterschiedlichster Formate und Ansätze – kompromisslos, bedingungslos. (…) Winkler scheut sich nicht, sich auch mit sperrigen und gesellschaftlich schwierigen Themen auseinanderzusetzen, den Blickwinkel oft über ein eurozentrisches Weltbild hinaus gerichtet, indem er den aktuellen gesellschaftlichen Diskurs anders und neu denkt und choreografisch reflektiert.’
Dazu sage ich: Ja! Man muss die Produktionen, die in den letzten 25 Jahren unter der Regie von Christoph Winkler entstanden sind, noch nicht einmal alle live gesehen haben – ein Blick auf die Website der Company Christoph Winkler reicht, um einen ziemlich umfassenden Eindruck zu gewinnen über die Fülle an Themen, künstlerischen Formen und Kooperationen, die der Berliner Choreograf bearbeitet, entwickelt, initiiert und realisiert hat.
Und ich möchte hier gleich einschieben, dass man die meisten Arbeiten Christoph Winklers auf der Website in voller Länge ohne Zugangsbeschränkungen sehen kann – womit der Choreograf einerseits an seinem eigenen digitalen Archiv arbeitet, und andererseits eine Praxis des Teilens vorlebt.
Als zeitgenössischer Choreograf hat sich Christoph Winkler – thematisch – unter anderem
-mit dem klassischen europäischen Tanz, bzw. seinen Tänzerinnen beschäftigt (Lebenslang, 2002)
-mit dem möglichen Zusammenhang zwischen Choreografie und Militär (Hinter den Linien, 2003)
-mit der Frage: Gibt es ein Copyright auf Bewegungen? (Dance Copy.Right, 2012)
-oder: wer auf deutschen Bühnen welche Hauptrollen spielen darf und welche Rollen dabei Hautfarbe und Herkunft spielen (Hauptrolle, 2014)
In seiner Kunst hat sich Christoph Winkler unter anderem
-mit dem Machtverhältnis und der Kommunikation zwischen Choreograf:innen und Tänzer:innen auseinandergesetzt (u.a. in ‚lost my choreographer in the way to the dressing room, 2016)
-mit weiblichen Heldinnen (Sheroes, 2017), rechtsradikalen Frauen (Rechtsradikal 2013) und linksradikalen Männern (Baader 2011)
-mit den politischen Voraussetzungen der minimal music
-mit dem in Europa weitgehend unbekannten ersten afrikanischen Raumfahrtprogramm (we are going to Mars, 2021)
-oder damit – in einem aktuellen Interviewprojekt – wie Künstler:innen des afrikanischen Kontinents den zeitgenössischen Tanz Europas wahrnehmen (What is african contemporary?, Interviewprojekt 2016)
Ganz aktuell beschäftigt sich Winkler auf der interaktiven Website ‚ENVIRONMENTAL DANCE’ mit dem Teilen von Tanzpraktiken aus der ganzen Welt, in denen sich das Verhältnis des Menschen zur Natur ausdrückt – und kooperiert dafür mit zahllosen lokalen Tanzschaffenden in Ländern verschiedener Kontinenten
Christoph Winkler ist, so würde ich es ausdrücken, nicht nur Choreograf, sondern auch ein unbedingter Forschergeist, offensichtlich ausgestattet mit einer nicht versiegenden Neugier, der sich mit gesellschaftlich relevanten Themen wie Rassismus und Postkolonialismus auseinander gesetzt hat – lange bevor sie en vogue wurden.
Und der – das mal am Rande – dafür selbst im aktuell sehr aufgeladenen Identitätspolitikdiskurs, in dem es ja viel darum geht, wer mit welchem Recht worüber sprechen darf, nie angegriffen oder kritisiert wurde – was zeigt, dass da in der Zusammenarbeit vieles richtig laufen muss – also: auch dafür Chapeau, Christoph!
Christoph Winkler ist aber auch ein Choreograf, der – und das ist vielleicht schon aus der Aufzählung deutlich geworden – nicht nur Tanz für die Bühne produziert, sondern für die künstlerische Umsetzung seiner Themen auch andere Formate entwickelt (z.B. eine Website oder ein Konzert oder ein Gogo-Tänzer:innen-Programm.)
Christoph Winkler hat aber auch persönliche Themen in seiner Kunst sublimiert. Und ich würde mal sagen: richtig persönlichen Themen.
2015 hat er mit ‚La Fille’ ein Stück kreiert, das von der Geschichte seiner Pflegetochter inspiriert ist, deren Entwicklung vom Mädchen zur jungen Frau von einer Bindungsstörung geprägt war.In ‚On Hela’ verschränkt Winkler 2019 die Erfahrung seiner eigenen Krebserkrankung mit der Geschichte der Afroamerikanerin Henrietta Lacks, die 1951 an Gebärmutterhals verstorbenen ist und der im Rahmen einer Tumorbehandlung ohne ihr Wissen zu Forschungs- und Heilungszwecken Zellen entnommen wurden. Beide Stücke sind Soli, beide Stücke sind im engen Austausch zwischen Choreograf und Tänzerinnen entstanden: Emma Daniels tanzt in ‚La Fille’ und Lois Alexander tanzt und erzählt die beiden Geschichten in ‚On Hela’.
Beide Arbeiten, so hast du es, Christoph, mir erzählt, sind nicht von der Idee therapeutischer Aufarbeitung motiviert, sondern entspringen einer inneren Verpflichtung: in der Kunst über alles sprechen, was wichtig ist.
In der Kunst über alles sprechen, was wichtig ist!
Da gehören diese Themen dazu. Und da gehört aber auch eine ganz bestimmte Arbeitsweise dazu. Denn du hast Emma Daniel und Lois Alexander nicht gesagt, wie sie etwas zu tanzen haben, keine Schritte, keine Formen vorgegeben. Du hast Emma Daniel die Akte deiner Pflegtochter in die Hand gedrückt und Lois Alexander die Freiheit gegeben, zwei verschiedene Krankengeschichten an sich als Tanzkünstlerin, Performerin heranzulassen – an und IN ihren eigenen Körper, in ihre Bewegungen fließen, übergehen zu lassen.
Und damit komme ich zu einem ganz wichtigen Punkt – warum du diesen Tanzpreis bekommen und unbedingt verdient hast: du konzeptionierst deine Stücke inzwischen so, dass alle ihre künstlerische Freiheit darin finden, dass die Tänzerinnen und Tänzer, mit denen du zusammen arbeitest, das, was sie in sich tragen, schöpferisch einbringen können. Und gerade weil das nicht immer so war, zeigt sich darin auch eine Entwicklung, die nicht selbstverständlich, aber in meinen Augen so bemerkenswert ist.
Und bevor ich nun immer weiter darüber spreche, möchte ich Lois Alexander zitieren, die über die ‚…..positive und ermutigende Atmosphäre’ in der Zusammenarbeit mit Christoph Winkler spricht.
Sie sagt: ‚Seine Herangehensweise an Tanz und Choreografie ist immer am Pulsschlag des ganzen Genres und wie es sich entwickelt. Christophs Arbeitsstil bestärkt mich ständig darin, selbstständig zu denken, klare Entscheidungen zu treffen und mich authentisch auszudrücken. Dieses Vertrauen, gepaart mit seiner Geduld und seinem Leitungsgeschick, hat mir ermöglicht, mich als Künstlerin zu entwickeln.’ (ZITAT LOIS ALEXANDER)
Und an dieses möchte ich gleich ein weiteres Zitat anschließen: ‚Christoph stärkt andere und ist ein Ermöglicher, a chance giver. Ein Träumer und einer, der hart arbeitet. Ich habe großen Respekt für seinen Sinn für Choreografie und seine sehr persönliche Art des Künstlerseins.’ (ZITAT Ahmed Soura, Burkina Faso)
Beide und alle anderen Zitate sind in der Festschrift abgedruckt, meine Kollegin Melanie Suchy hat sie von den langjährigen Weggefährt:innen Christoph Winklers eingeholt und ich finde diese Aussagen äußerst berührend und sehr sprechend.
Ich möchte noch einmal kurz weiter nachdenken über die künstlerische Herangehensweise, das Mindset, das die Arbeit von Christoph Winkler ausmacht:
Christoph, im Gespräch mit mir, aber auch mit Volkmar Draeger, der die Ehrung für die Festschrift verfasst hat, hast du deinen choreografischen Ansatz für Gruppenproduktionen, an den du dich in den letzten Jahren herangearbeitet hast, so formuliert: ‚Mit den jeweils eigenen künstlerischen Mitteln eine gemeinsame Aufgabe bewältigen.’ D.h. im beste Falle kommen in deinen Produktionen traditionelle Tänzer:innen aus verschiedenen Ländern Afrikas, urban dance-Mover und – jetzt zitiere ich dich – ‚eiskalte contemporary dancer’ zusammen! ‚Was die im Einzelnen kreieren, könnte ich nie selbst choreografieren’, hast du gesagt. Deswegen muss einer dafür sorgen, dass all’ diese Unterschiedlichkeit auf der Bühne gut zusammengehen kann – und das ist keine kleine Aufgabe für einen Choreografen, sondern eine große Herausforderung.
Du hast auch gesagt: ‚In der Kunst ist es wie im Leben: Machst du einen Schritt zurück, machst du oft zwei vorwärts’. Das ist allgemein formuliert, sieht man sich aber die Entwicklung der choreografischen Arbeiten Christoph Winklers an, erscheint es fast wie eine künstlerische Kernaussage. Denn der Satz beschreibt genau das, was dem Künstler Christoph Winkler immer wichtiger wird: in der eigenen Praxis nicht enger, geschlossener sondern immer offener, einladender werden.
Nicht – oder nicht nur – auf das Eigene, das eigene Vermögen, die eigenen künstlerischen Ideen schauen, sondern mit anderen zusammen gestalten. Eine eigene Vision entwickeln, sie aber durchlässig, wandelbar halten.
Und nur mit diesem offenen künstlerischen Konzept kann gelingen, was Christoph Winkler für größere Zusammenarbeiten anstrebt: Diversität im Ausdruck. Und die ist dir in den letzten 25 Jahren zweifellos gelungen – trotz all der Widrigkeiten, denen man als freier Choreograf finanziell, strukturell, fördertechnisch und infrastrukturell ausgesetzt ist – ein Thema, das ich nur mit diesem einzigen Satz streifen will – obwohl es so wichtig ist.
Wie sehr du mit deiner Arbeitsweise andere inspirierst, zeigt ein Zitat des Tänzers Robert Ssempija:
‚Mit Christoph zu arbeiten, heißt ebenbürtig zu sein, equal. Christoph ist der einzige Choreograf, mit dem ich gearbeitet habe, der einem das Gefühl gibt, wirklich Teil der Kreation zu sein und nicht bloß ein Zuarbeiter oder ein Stereotyp. Während der Arbeit mit ihm habe ich nie das Gefühl, dass er meinen Körper kolonisiert oder meinen Tanz.
Er legt eine Menge Vertrauen in seine Tänzer:innen, indem er ihnen erlaubt, etwas gemeinsam mit ihm zu erschaffen. Diese Beziehung von Geben und Nehmen, die er aufbaut, ist die Basis seiner künstlerischen Arbeit. Um etwas von seinem Vermächtnis, seiner Philosophie weiterzugeben, werde ich das Tanzmuseum, das ich gerade in meiner Heimat Uganda aufbaue, nach ihm benennen. Ich möchte, dass sein Geist, sein spirit, andere so inspiriert, so wie er mich inspiriert hat. (ZITAT Robert Ssempija)
Und weil es deine Weggefährt:innen besser, prägnanter und berührender sagen als ich es je könnte ein letztes Zitat von dem neuseeländischen Tänzer und Choreografen Aloalii Tapu: ‚Christoph hat mich unbeabsichtigt so viele Dinge gelehrt: über Vaterschaft, über das Selbstverständnis als freier Künstler, über das Ermöglichen einer sicheren, safe, Gemeinschaft von Tänzer:innen und vieles mehr. Dafür werde ich ihm ewig dankbar sein.’ (ZITAT Aloalii Tapu / Li’i)
Da möchte ich mich einfach nur anschließen:
Danke, Christoph Winkler – für all die Stücke, die Themen, die Zusammenarbeiten, das Forschen und Suchen, die Neugier und den Schaffensdrang!
Möge dich all’ das noch lange antreiben!
Ich wünsche dir von Herzen alles Gute!