Wie bringt man das Böse im Körper zum Klingen?
Herr Winkler, wenn man sich die Proben zu Ihrem neuen Stück „Böse Körper“ anschaut, hat man erstmal das Gefühl, einem Seminar beizuwohnen. Die Tänzer diskutieren mit Ihnen die Frage, was das Böse überhaupt ist…
Das heißt doch zeitgenössischer Tanz, oder? (lacht) Alles ist Performance, auch der Tanz. Wir sitzen alle um den selben „leeren“ Tisch, nur der Background ist ein anderer. Bei dem Ensemble von „Böse Körper“ handelt es sich durchweg um gestandene Tänzer, die in Compagnien gearbeitet haben aber der Ansatz ist ein theoretischer.
Wie würden Sie Ihren Ansatz beschreiben?
Es geht um die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Bösen, die Formen seiner Repräsentationen in den verschiedenen Medien und dies aus der Perspektive des Tanzes. Konkret heißt das, dass ich Ideen habe oder Beobachtungen mache, die ich zur Diskussion stelle. Jeder der Tänzer hat dann eine eigene Perspektive darauf.
Ein zentraler Ort des Bösen ist die Literatur, später dann der Film. Dort kann man von einer eigenen Ästhetik des Bösen sprechen die wir zunächst einmal studieren. Der Begriff des Bösen ändert sich nach-christlich natürlich ungemein, etwa von de Sade über Nietzsche bis zu Bataille. Peter-André Alt, der Präsident der FU, hat kürzlich eine Studie darüber publiziert. Darüber gibt es theoretische Auseinandersetzungen von Foucault und der Biopolitik bis zu Agamben und dem Konzentrationslager. Und schließlich betrifft es auch unser tagtägliches Handeln im kapitalistischen System. Das entscheidende für uns sind allerdings die entsprechenden Repräsentationen.
Wie darf man sich die Auseinandersetzung auf der Bühne vorstellen? Geht es um die Darstellung oder Verkörperung des Bösen?
Das Stück stellt die Frage, ob es so etwas überhaupt geben kann. Im zeitgenössischen Tanz gibt es nicht das klassische Rollenspiel, auch wenn es natürlich Charaktere und Bilder gibt, man denke an den schwarzen Schwan. Allerdings kann man hier wohl kaum von einer wirklichen Transgression sprechen wie wir es beispielsweise aus der Literatur oder dem Film kennen. Wir schauen uns deshalb auch die bekanntesten Repräsentationen des Bösen im Film an: – Jack Nicholson in „Shining“, Robert de Niro in „Taxidriver“, Anthony Hopkins in „Das Schweigen der Lämmer“. Wir borgen uns gewissermaßen die Mechanismen der Repräsentation aus, um sie zu hinterfragen. Wie beschreibt Hopkins, was er macht? Wie bringt er das Böse körperlich zum Klingen?
Dabei ist sicher auch das Gesicht von großer Bedeutung, die Mimik?
Gesichtsausdrücke sind sehr wichtig, aber auch ganze Körper lassen sich aufladen. Nicholson und de Niro kommen aus einer sehr körperbetonten Schule. Genau das wollen wir analysieren, den Anteil körperlichen Ausdrucks, des körperlichen Einsatzes und auch der verfremdeten Gesten. Ein Beispiel wäre, wie Bruno Ganz Hitler spielt. Uns interessieren die Kontexte dieser Darstellungen, gibt es da eine Methodik. Wir beginnen deshalb mit Re-Enactments solcher Szenen aus tänzerischer Perspektive wenn man so will.
Das heißt, sie stellen auch konkrete Filmszenen nach?
Ja, wir arbeiten beispielsweise analytisch mit der Spiegelszene aus „Taxi Driver“: „Are you talking to me?“ Diese Szene ist sehr interessant weil es sich hier auch um die Einübung von Gesten handelt. Die Tänzer zerlegen die Abläufe im Sekundenbereich. Das ist sehr aufschlussreich zur Hinterfragung der Methodik.
Was bezwecken Sie mit Ihrer Analyse?
Erstmal geht es darum, Fragen zu stellen, die Darstellung des Bösen zu problematisieren. Was braucht es, um zu sehen, was wie gespielt wird. Davon ausgehend eröffnen sich viele Bereiche. Der Körper lädt sich auf, mit dem Körper passiert etwas. Das muss gar nicht unbedingt in Tanz ausarten aber wenn man die mimischen Gesten des Schauspielers in einem bestimmten Kontext als „böse“ lesen kann dann sollte das auch im Tanz möglich sein.
Gibt es so etwas wie einen „bösen Körper“ überhaupt?
Es gibt Menschen, die Dinge getan haben, die für andere Menschen nicht gut sind. Die Art und Weise wie sie dargestellt bzw. repräsentiert werden interessiert uns. Es geht um die Kontexte. Hinter Adolf Eichmann beispielsweise steht ein ganzes System. Er selbst hat gesagt, er habe nur Befehle ausgeführt. Er ist kein offensichtliches Monster, aber wir kennen ihn nur von seiner Darstellung während des Prozesses in Israel, über den Agamben richtigerweise sagt: er erinnere ihn an eine Liturgie. In dem Kontext eines solchen Prozesses wird er zwangsläufig zum Performer. Er hat eine ganz spezifische Sprache. Erst hört er unterwürfig zu, dann steht er auf wie auf den Befehl „Still gestanden“ auf. Das hat etwas Devotes.
Ist das böse?
Das ist gerade die Frage. Es geht um Repräsentationen! Anthony Hopkins ist Kannibale, kein Freak. Er ist charmant, höflich, elegant. Auch das Nicht-Monsterhafte ist eine stilistische Entscheidung, die einer Methodik unterliegt. Es gibt den Gentleman-Killer. Jede Ausdrucksweise kann in neuen Kontexten anders gelesen werden. Auch gar keine Regung zu tun, kann „Böses“ repräsentatieren. Uns interessieren die Gesetzmäßigkeiten.
Muss sich der Zuschauer die Kontexte imaginieren? Das funktioniert sicher bei „Taxidriver“ oder „Hitler“, aber bei Eichmann könnte es schon schwieriger sein!
Nein, die szenischen Kontexte werden mitgeliefert. Alles wird benannt. Wenn man den Kontext nicht kennt, wird nichts entschieden. Auch Jack Nicholsons Stirnrunzeln ist ohne Kontext nicht genuin böse, Niemand imaginiert ohne Kontext, auch nicht im Film. Deshalb haben wir ja so starke Bilder im Kopf, die unser Verständnis prägen.
Wird es wie in Ihren früheren Produktionen auch Text geben?
Ich mache nicht den Mund zu und sage, jetzt mache ich Tanz. Auch Tänzer artikulieren sich nicht nur mit ihrem Körper. Es wird also Text geben..
Woher rührt eigentlich Ihr Interesse am Bösen?
Es ist ein paar Jahre her, da habe ich mich mit Agambens „Homo Sacer“ beschäftigt und in dem Zusammenhang einen Tänzer gefragt, ob er Eichmann machen will. Aber der hat sich damit unwohl gefühlt. Vielleicht hat diese Weigerung eine Rolle gespielt, ein Schauspieler hätte damit vermutlich kein so großes Problem gehabt. Bei mir hat es ein prinzipielles Interesse geweckt: wie kann sich der Körper mit Bosheit aufladen, welche Möglichkeiten hat der Tanz, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Würden Sie zustimmen, dass solche analytischen Fragestellungen einen größeren Raum in Ihren Arbeiten einnehmen, als in früheren Stücke, die vielleicht doch tänzerischer waren?
Meine choreografische Sprache war anfangs darauf angelegt als Personalstil identifizierbar zu sein. Das hatte prinzipiell das Potenzial auch für größere Häuser. Ich wurde sogar als choreografisches Wunderkind gehandelt. Aber ich habe mir dieses Label ja nicht selbst gegeben. Vielleicht waren die Räume für Tanz früher insgesamt größer, aber bei mir kam immer schon Text vor.
Ist Ihre Entwicklung eine Art Befreiung oder Emanzipation?
Ja, schon. Aber eher Emanzipation als Befreiung. Früher hatte ich gar keine Ahnung, wie Improvisation eigentlich funktioniert. Ich dachte, alles wäre durchchoreografiert. Das waren meine früheren Arbeiten dann auch, obwohl sie frei aussahen. Heute mache ich das ganz anders, stelle auch meine Position mehr infrage. Die Form des Stückes steht vor Beginn nicht fest. Ich will auch weiter mit Tänzern arbeiten, gerade auch mit solchen die über ein gewisses Handwerk verfügen aber die Entscheidung dieses einzusetzen muss in jedem Stück neu legitimiert werden. Es sollen nicht nur Ideen repräsentiert werden.
Die Geschichten der Performer fließen daher auch mehr in meine Arbeiten ein. Auch die Techniken und Methoden, die sie perfekt beherrschen, nur geht es mittlerweile mehr darum, sie zu dekonstruieren – und damit sind wir wieder bei den Mechanismen des Bösen und meinem neuen Stück.