Höre mit Schmerzen!

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Höre mit Schmerzen!

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Klaus Walter | TAZ

„Klangkrieg erschien kürzlich ein Album von Echokrank. Dreißig Jahre nach Susan Sontags Klassiker erhält „Krankheit als Metapher“ offenbar neue Geltung in der elektronischen Musik. Und sechsunddreißig Jahre nach Jimi Hendrix: Der traktierte seine elektrische Gitarre gegen die Gebrauchsanweisung, und plötzlich galt Lärm als sexy. Im Phrasenkatalog der Rockkritik etablierte sich die „Feedback-Orgie“. Die sexuelle Metapher signalisiert die Lust am gezielten Kontrollverlust. Der Gitarrenkörper folgt seiner eigenen Libido, sein Besitzer verliert die Macht über ihn – und genießt das.

„Feedbackorgien“, „Lärmkaskaden“ und „Geräuschattacken“ – so schnell, wie diese Begriffe Eingang fanden in die Sprache der Rockkritik, so schnell wurden die so bezeichneten musikalischen Grenzüberschreitungen zu stereotypen Überschreitungsgesten reformatiert.

Zu Beginn der 70er-Jahre gehörten Feedback und ähnliche Störgeräusche zum guten Ton der Rockmusik: Ornamente einer zur Konvention geronnenen musikalischen Form. Hendrix hatte sich rechtzeitig verabschiedet. Der kurzen Phase der künstlerischen wie gesellschaftspolitischen Deterritorialisierung nach 1965 folgte eine kulturindustriell forcierte Reterritorialisierung: Neue Märkte entstanden, Pop wurde zur akustischen Tapete des Alltags, das Eben-noch-Störgeräusch zum Markenzeichen westlicher Jugendkulturen.

Vergleichbare Zyklen von De- und Reterritorialisierung erlebte die Popmusik nach der Punkrevolte und zuletzt im Techno, der „Revolution 909“ (Daft Punk). In beiden Fällen konnte man den Wertewandel genretypischer Sounds beobachten: vom Störgeräusch zum Zierrat.

Vor allem in der digitalen Musik vollzieht sich diese Metamorphose in immer rasanteren Schüben. Womit wir wieder bei Echokrank wären. Im Begleitschreiben zur Platte proklamiert Alain Pacadis: „Während sich eine elektronische Musik durchgesetzt hat, in die sich jedes Umweltgeräusch problemlos integrieren lässt, so ist bei Echokrank jeder zusätzliche Ton störend. Musik ist nur ein anderes Wort für den Krach in dieser Welt. Go see the doctor.“

Kurioserweise greift Echokranks Kritik am integrierten Soundalltag auf das Zeichenrepertoire der 68er-Revolte zurück. Der Bandname – „Echokrank bezeichnet eine akustische Halluzination, unter der Tiefseetaucher leiden, wenn sie zu schnell auftauchen“ – erinnert an die „Krankheit zur Waffe machen“-Slogans der Antipsychiatrie-Bewegung der Nach-68er-Jahre, in der BRD maßgeblich propagiert vom Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) in Heidelberg.

Dem SPK wie den Antifolterkomitees kommt das historische Verdienst zu, erste Aufklärungshilfe geleistet zu haben über Herrschaftstechniken wie „weiße Folter“ und „sensorische Deprivation“ – so die klinische Vokabel für die AC/DC & Metallica-Methode.

Folgerichtig wie fatal führte der Kampf gegen weiße und andere Folter einige SPK-Aktivisten zur Stadtguerilla – vulgo: RAF & Co; Gefängnis/Tod. Spätfolgerichtig nannte sich eine Industrial-Band aus England in den 80er-Jahren SPK. Auch die wussten um den dekorativen Appeal kranker Sounds. Wie überhaupt die Krankheitsmetapher in keinem Genre derart ausgebeutet wurde wie im Industrial, der einzigen Musik der Welt, für die Belgien Deutungshoheit beanspruchen darf. Von dort kam auch eine der bescheuertsten Bands ever: The Klinik.

Zurück zu Echokrank. Ihr Manifest gipfelt in einer Paraphrase auf die berühmteste Parole von Berlins berühmtester Band: „Mach Nervös Was Dich Nervös Macht!!“ Dass die Musik von Echokrank heute keinen mehr nervös oder krank macht, wissen Echokrank. Die „zusätzlichen Töne“ setzen sie weniger „störend“ ein als kommentierend, animierend, wenn sie etwa den Digital-Dancehall-Klassiker „Tempo“ von Anthony Red Rose eins zu eins übernehmen und mit wohlplatzierten Sound-Accessoires mehr drapieren als verfremden.

Rein technisch ähnelt dieses Verfahren demjenigen der US-„Band“ Culturcide, die in den 80er-Jahren aktuelle Pophits bootleggte und bewusst dilettantisch (oder genial dilettantisch, wie man bei Merve damals schrieb) eigene Texten drübersang, in entlarvender, ideologiekritischer Absicht: aus „We are the world“ wurde „They aren’t the world“, „Puttin’ on the Ritz“ verballhornten sie zu „Act like the rich“.

Dass man solche Partyspäße mal als subversive Soundguerilla-Attacke gegen die marode US-Kultur und schwerwiegenden Angriff auf das Copyright zu goutieren bereit war, ist heute schwer nachzuvollziehen. Bei aller Soundguerilla-Störfeuer-Rhetorik – Tracks heißen „Assword Required“ oder „Level Of Technology: Primitive“ – profitieren Echokrank von den affektiven Reizpotenzialen der „fiesen“ und „kranken“ Geräusche.

Sie wissen um die schwindende Halbwertszeit von Störsound-Strategien und sind viel zu sehr Fans von „geilen“ fiesen Sounds. Sonst wären sie nie auf die Idee gekommen, einen aufs nötigste fiese Fiepen reduzierten Digital-Reggae anzukränkeln, und das auch noch jamaican stylee: „Tempo“ eröffnet Seite 2 der LP, „Mehr Tempo!“ – quasi die Dub-Version – beschließt sie.“