Hinter den Linien

Hinter den Linien

2003, 6 TänzerInnen, 60 Min., 12 x 10 Meter

Über das Stück

Körper gelten als gelehrig, als form- und somit bezwingbar. Das führt im Tanz zur strengen Formung der Figuren im Raum als auch zur Zerlegung tänzerischer Abläufe in kleinste Teileinheiten. Das gilt in gleicher Weise auch für das Militärwesen, das in dieser Zeit beginnt, das Exerzieren in völlig neuartiger Weise zu entwickeln. Das beginnt bei der Grundstellung von Tänzern und Soldaten, die zeitweise identisch ist, geht über das Einfügen von Exerzierfiguren der “Zierlichkeit” wegen bis hin zur vom Marschieren übernommenen Betonung der ersten Taktzeit auf dem linken Fuß. Dies sind nun nur einige der besonders deutlichen Zeichen der Durchdringung von Tanz und Militär.

Geht man einen Schritt weiter und liest die Schlachten dieser Zeit als Choreographie wird klar, dass es in den diesen Schlachten um im Raum wandernde, ständig neue Figuren bildende, Linien, Punkte und Körper geht und das kann man nicht nur Schlacht sondern auch Tanz nennen.

videos

credits

Choreographie: Christoph Winkler | Tanz: Florian Bilbao, Lydia Klement, Miriam Kohler, Anna Luise Recke, Ingo Reulecke, Odile Seitz | Musik: Mathis Mootz

Produktion: Christoph Winkler. In Kooperation mit CCAM - Scène Nationale de Vandœuvre lès Nancy, CCN Ballet de Lorraine-Accueil Studio und Goethe Institut Inter Nationes Nancy Gefördert durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur Berlin

Pressauszüge

Einen ungewohnten Zugang wählt auch der Berliner Choreograph Christoph Winkler, seit langer Zeit der interessanteste ImPulsTanz-Debütant. Ungewohnt deshalb, weil er jegliche oberflächliche Revuewelt vermeidet, trotzdem Geschichten und Inhalte vermitteln kann, die Tiefgang haben. Außerdem verlieht er der Ballett-Ästhetik ein neues , zeitgenössisches Gesicht. ... Dem zeitgenössischen Tanz die Seele zurückgeben - dies ist ein wichtiger Schritt für die Zukunft. Bolschoi-Magazin

Erstmals in Wien präsentiert sich der Berliner Christoph Winkler mit seiner Neufassung von „Hinter den Linien“, einer analytischen Choreografie über Zusammenhänge von Kampfritualen und Tanzdrill. Die Verbindungen zwischen Militär und Tanz filtert Winkler in Schlachtenszenen, die von Liz Kings hervorragend studiertem Tanztheater Wien gezeigt wurde... Eine Arbeit, die von Punkt, Linie und Fläche, Winkel und Kreis ausgeht und in 70 Minuten klassische Ballettausbildung, aber auch eine Ballung von Ausdruck, technischer Spitzenkondition und höchster Konzentration fordert. Ob mit- oder gegeneinander - Mensch und Bewegung, Tanz und Sprache werden eins. Die Idee, das Publikum - stellvertretend für den Feind - zu erschüttern, geht allein schon durch den leidenschaftlichen Einsatz der Tänzer auf. Kronenzeitung, Wien

In seinem neuen Stück ... hat Christoph Winkler historische Bewegungsschulen und -muster zu einer Text-, Klang- und Tanzcollage verbunden, zu einer Archäologie der Verflechtungen von Tanzkunst und Drill. ... Der Rückblick auf die Verbindungen von Militär und Tanzkunst ist auch ein Blick auf den gezähmten Körper heute. „Hinter den Linien“ ist eine präzise Studie über die Disziplinierung des Körpers im 17. Jahrhundert. ... Spannend wird es, wenn die Tänzer frei mit ihren Körpern auf die Suche nach Bewegung und Geschichte gehen. In solchen Szenen wird die Anschauung zum Mitfühlen; hier kann die Sprache dem Tanz nicht folgen. Berliner Zeitung

Der Choreograf Christoph Winkler untersucht in seinem neuen Stück die Verbindung zwischen Krieg und Kultur, er hat nicht nur ein beeindruckendes Lektürepensum absolviert, sondern auch die eigene Disziplin, den Tanz, auf seine kriegerischen Implikationen befragt. Dass Krieg immer auch Inszenierung, also Kriegstheater ist, wurde in zahlreichen Filmen schon eindrucksvoll demonstriert. Winkler zielt auf den Umkehrschluss: dass der Krieg im eignen Körper beginnt, da wo er einer (Macht)Technik unterworfen wird. Der Tagesspiegel

Der Choreograf reflektiert den Feldherren in sich und den Choreografen im Feldherren. Es geht um die Zerlegbarkeit in kleinste, exakte Bewegungspartikel und die Berechenbarkeit, die beide im „Material“ Körper voraussetzen: Im Barock wurden Tanzmeister zum Soldaten-Training bestellt. ... Doch es nimmt ein, wofür Christoph Winkler sehr allein auf der weiten Flur der deutschen Tanzlandschaft steht: wie bewegungsorientierter Tanz und das konzeptionelle Zuspitzen wichtiger Themen zusammengehen. Berliner Morgenpost

Was uns beim Tanz gelegentlich als Wunder von Körper und Geist erscheint, offenbart hier seine Nachtseite als Sieg des in Takt gebrachten Fleisches über jede Form von Geist. Weil Winkler diesen Zusammenhang immer wieder neu entwickelt, ist sein Stück brillant zu nennen. Neues Deutschland

In der Nachfolge des Dreißigjährigen Krieges ... entstand mit dem omnipotenten Weltbild des Absolutismus die Sehnsucht nach „schönem Krieg“ und zierlicher Beweglichkeit von Truppenverbänden. ... Diesen makabren Triumph der Geometrie hat Christoph Winkler recherchiert und zum Ausgangspunkt einer ebenso tollkühnen wie stringent realisierten choreographischen Umsetzung genommen. Doch was in einfachen Schrittfiguren, Armhaltungen und Bewegungen „in Reih und Glied“ beginnt, geht in eine choreographische Schlachtenbeschreibung über. Die Überlagerung der zwei Sinnebenen von tänzerischer Form und wörtlicher Rede erzeugt das emphatische Bild einer Geometrie der Vernichtung. Ohne irgendwelche aktualisierenden oder polemischen Kommentare, ohne Bebilderung fängt Winkler doch jene Emotion ein und stellt sie dar, jene unaufhaltsame innere Bewegtheit, die dem eigentlichen Akt der Gewalt vorausgeht. ... Das Ende der Schlacht wie des Tanzes gerät zu einem Auslaut, zu einem Versickern von Kraft. Tanzjournal