Her Noise

Her Noise

Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Oper Dortmund und WUK performing arts

2020

Über das Stück

Obwohl wir in einer hoch visuellen Kultur leben, faszinieren menschliche Stimmen uns in vielerlei Hinsicht denn im Register der Stimme erklingt die Bedingung der menschlichen Einzigartigkeit. Die Stimme ist das was uns herausstellt. Zudem zeigt sie, dass dieser Zustand wesentlich relational ist. Die simple Wahrheit des Stimmlichen, verkündet von Stimmen ohne die Vermittlung artikulierter Sprache, kommuniziert die elementaren Gegebenheiten der Existenz: Singularität, Relationalität, Geschlechterdifferenz und Alter.

Trotz dieser Einzigartigkeit wird aber zur gleichen Zeit einer ganzen Reihe von Stimmen nicht zugehört. Gerade die Rede von Frauen wird oft als „Noise“ oder „Geräusch“ bezeichnet, was Man(n) nicht ertragen kann.

Die Geschichte ist voller Beispiele für die Ambivalenz mit der unsere Gesellschaft weiblichen Stimmen gegenüber tritt. In den Sirenen Homers über H.C. Andersens Meerjungfrau, von Kants Bemerkungen über das frivole Geschnatter der Frauen im Nebenzimmer bis zu den weiblichen Stimmen dienender, elektronischer Geräte, tritt eine Haltung zutage die offensichtlich in der weiblichen Stimme eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung sieht.

Gerade wurde noch Hillary Clintons Stimme als ‚Eispickel im Gehörgang‘ beschrieben und beschuldigt, ‚Engel zum Weinen zu bringen‘. Michelle Obama wurde sowohl dafür kritisiert, ‚wie ein weißes Mädchen zu sprechen‘, als auch dafür, ‚zu laut, zu wütend oder gar entmannend zu sein‘.

So anachronistisch diese Äußerungen auch sein mögen, sind sie doch Teil unserer gesellschaftlichen Realität. Frauen die ihre „Stimme“ erheben sind einer latenten Bedrohung ausgesetzt. Ein einfacher Blick in die Kommentarspalten sozialer Medien reicht dafür aus.

Dies hat zahlreiche Konsequenzen. So haben beispielsweise Studien gezeigt, dass die weibliche Stimme im Laufe der Jahre tiefer gewurden ist. Frauen in Führungspositionen gleichen sich in ihren Stimmlagen den Männern an. Demgegenüber sehen und hören wir in Konzerten und Performances ein weites Spektrum performativer, weiblicher Stimmen. Trotz der gesellschaftlichen Ambivalenz haben sich viele Künstler*innen auch die Räume an den ästhetischen Rändern erobert und überraschen mit einem ungewohnten Zugriff auf stimmliches Material.

Das Projekt „Her Noise“ setzt sich vor diesem Hintergrund mit verschiedenen Aspekten weiblicher Stimmen auseinander und kreiert ein choreographisches Konzert. Wir schauen auf Musikstücke die einen besonderen Bezug zur weiblichen Stimme und ihrer Emanzipation herstellen wie beispielsweise Pauline Oliveros „Bye Bye Butterfly“ und versuchen dafür einen körperlichen Ausdruck zu finden. Darüber hinaus laden wir vier Künstler*innen ein die sich mit Stimmen und Noise in ihrer eigenen Praxis beschäftigen.

Lucrecia Dalt, Stine Janvin, Colin Self und Lena Wicke – Aengenheyster (Monsterfrau) werden im Probenprozess einen Einblick in ihre Arbeitsweise geben und gemeinsam mit den Tänzer*innen der Kompagnie musikalisches Material erarbeiten. Die Tänzer*innen nehmen dieses Material auf und fügen eigenes dazu. Aus diesem Prozeß einer geteilten Autorschaft heraus entsteht dann das Stück.

Die Performance vereinigt musikalische Teile mit verschiedenen performativen Szene zu einer Reflexion über das Potenzial weiblicher Stimmen.

videos

Teaser 2022

Teaser 2021

credits

Konzept: Christoph Winkler | Von und mit: Bria Bacon, Symara Johnson, Lisa Rykena, Sophie Prins, Sarina Egan-Sitinjak | Musikalische Mitarbeit: Lucrecia Dalt, Stine Janvin, Lena Wicke-Aengenheyster, Colin Self | Technische Leitung: Fabian Eichner | Bühnenbild: Valentina Primavera | Köstum: Marie Akoury | Graphic und Video: Gabriella Fiore | Produktionsleitung: Laura Biagioni

Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der Company Christoph Winkler mit der Oper Dortmund und dem Kulturzentrum WUK performing arts Wien.
Gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes.

Termine

Pressauszüge

Das Facettenreichtum weiblicher Stimmen
Die Performance „Her Noise" der Company Christoph Winkler feiert Berlin-Premiere im Radialsystem

Christoph Winkler ist ein Mann, der genau hinschaut und hinhört - wie Menschen miteinander umgehen, wie sie übereinander sprechen. So entging ihm nicht, dass Hillary Clintons Stimme im US-Wahlkampf gegen Donald Trump einmal als „Eispickel im Gehörgang" beschrieben wurde und man ihr nachsagte, damit Engel zum Weinen zu bringen. Er nahm auch zur Kenntnis, dass Michelle Obama sowohl dafür kritisiert wurde, „wie ein weißes Mädchen zu sprechen" als auch dafür, „zu laut, zu wütend oder gar entmannend zu sein". Das sind Aussagen, die Winkler zur künstlerischen Auseinandersetzung reizten. „Denn so anachronistisch diese Äußerungen sein mögen, sie sind doch Teil unserer gesellschaftlichen Realität", sagt der 55Jährige, der als einer der vielseitigsten Choreografen Deutschlands gilt. Dass die Rede von Frauen oft als „Noise" oder „Geräusch" bezeichnet werde, habe ihn zu einem choreografischen Konzert über die Kraft und den Facettenreichtum weiblicher Stimmen inspiriert. Ende Dezember feiert „Her Noise" der Company Christoph Winkler Berlin-Premiere im Radialsystem. Eigentlich sollte die Performance schon im Dezember 2021 dort uraufgeführt werden, doch daraus wurde pandemiebe-dingt nichts. Und so wird „Her Noise" nun mit einem Jahr Verspätung dort zu sehen und zu hören sein, nachdem das Stück in diesem Sommer bereits in Dort-mund und Wien zu erleben war. Dort sei es beim Publikum gut angekommen, sagt Winkler, der sich jetzt auf ein musikalisch auf-geschlossenes Berliner Tanztheaterpublikum freut. Entstanden ist „Her Noise" in zusammenarbeit mit den Künstlerinnen Lucrecia Dalt, Stine Janvin, Colin Self und Lena Wicke-Aengenheyster. Alle vier seien „Expertinnen der musikalischen Arbeit mit Stimmen", sagt Winkler. Er lud sie ein, um in vier Workshops gemeinsam mit den Tänzerinnen seiner Company Musikmaterial zum Thema weib-liche Stimme zu erarbeiten. „Ganz schnell ergaben sich dabei viele kleine Skizzen", erzählt der Choreograf - Sequenzen mit vier unterschiedlichen Handschriften, die er dann zu einer musikalischen und tänzerischen Collage zusammenfügte.

Eine große Bandbreite musikalischen Materials
Auf der einen Seite hätten er und seine Tänzerinnen für „Her Noise" Musikstücke mit Bezug zur weiblichen Stimme und ihrer Emanzipation ausgewählt - wie Pauline Oliveros „Bye Bye Butterfly" - und versucht, dafür einen körperlichen Ausdruck zu finden, erklärt Winkler. Auf der anderen Seite stünden die Tracks der vier Expertinnen und die Kompositionen, die im zuge der Workshops neu entstanden seien. Ergänzt wird dieser Mix dann auch noch durch ein Medley von Frauengesängen aus dem Mittelalter. Unterm Strich also eine große Bandbreite musikalischen Materials, das auf der Bühne teils als A-cappella-Gesang vom Band eingespielt, teils aber auch von den fünf Tänzerinnen selbst zu Gehör gebracht wird. „Dass Tänzerinnen ihre Stimmen benutzen, ist gerade ziemlich en vogue", sagt Christoph Winkler. Und das könne man auch erwarten, fügt er hinzu und wirft das Stichwort Triple Thread in den Raum - was einen Performer beschreibt, der auf drei verschiedenen Gebieten begabt ist, der tanzen, singen und schauspielern kann.

Was die Wahrnehmung der Stimme über uns verrät
Als was er selbst „Her Noise" be-zeichnen würde? Winkler denkt kurz nach und lacht: „Als ein gutes Stück, in dem viel getanzt und viel gesungen wird." Und das mit verschiedenen Ansätzen, wie man mit Stimme umgehen kann von dem aus der Hip-Hop-Kultur kommenden Rap bis zur Voice Performance. Dass „Her Noise" gerade in Dortmund und Wien zu sehen war, bevor das Stück nach Berlin kommt, ist übrigens kein zufall. Denn mit der Oper Dortmund und dem freien Wiener Produktionshaus WUK performing arts realisierte die Tanzcompany von Christoph Winkler in der Spielzeit 2018/19 bereits die Performance „The Voice That You Are" - und zwar als gefördertes Doppelpass-Projekt. Mit ihrem Fonds Doppelpass unterstützt die Kulturstiftung des Bundes Kooperationen von freien Gruppen und Tanz- und Theaterhäusern. „Her Noise" sei die logische Weiterentwicklung von „The Voice", sagt Winkler. Ging es im ersten Stück um die menschliche Stimme allgemein, habe man nun eben gezielt die weibliche Stimmein den Fokus gerückt. Aus seiner Sicht ein enorm spannendes Thema. „Die Geschichte ist voller Beispiele für die Ambivalenz, mit der unsere Gesellschaft weiblichen Stimmen gegenübertritt", sagt der Choreograf und bringt Beispiele: „Von den Sirenen Homers über Andersens Meerjungfrau und Kants Bemerkungen über das frivole Geschnatter der Frauen im Nebenzimmer bis zu weiblichen Stimmen elektronischer Geräte tritt eine Haltung zutage, die offensichtlich in der weiblichen Stimme eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung sieht."
Katrin Starke Berliner Morgenpost / Berliner Bühnen