Homo Sacer
2004, 60 Min., 14 x 12 Meter
Über das Stück
Der Homo Sacer, eine obskure Figur des archaischen römischen Rechts, wird in der gleichnamigen Schrift des italienischen Philosophen Giorgio Agamben über „Die souveräne Macht und das nackte Leben“ zur Chiffre – mit der sich die Paradoxien von Biopolitik exemplarisch diskutieren lassen. Er findet die Homine Sacri vor allem wieder in den Flüchtlingslagern vergangener und heutiger Zeiten. Mit der Figur des Homo Sacer hat Agamben ein apokalyptisches Bild in den Diskurs eingebracht, das längst begonnen hat ein Eigenleben zu entwickeln. Christoph Winkler greift dieses Bild mit seinen vielen Möglichkeiten auf und führt diesen Diskurs in der Kombination von dokumentarischem Material und Bewegungen auf den Tanz zurück.
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Homo Sacer - Arte France, La maison de la dance de Lyon et les Films pénélope
credits
Choreographie: Christoph Winkler| Tanz: Florian Bilbao, Matthias Hörnke, Lydia Klement, Miriam Kohler, Ricardo Angelo de Paula, Anna-Luise Recke, Yael Schnell, Günther Wilhelm Bühne: Alexander Schellow, Charlotte Kaiser | Musik: Ekkehard Ehlers | Licht: André Schulz Produktionsleitung: Barbara Friedrich | Eine Produktion von Christoph Winkler in Zusammenarbeit mit Sophiensæle und Produktionsbüro TANZTAGE BERLIN. Realisiert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds. Gefördert vom Fonds Darstellender Künste aus Mitteln der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien
Pressauszüge
Nach und nach klettern die anderen sieben Tänzer aus ihren Ruhe-Nischen hervor. Alle wirken verstört in dem gleißend erleuchteten Raum, dessen Kantigkeit dem zerbrechlichen Leibern entgegensteht. Abrupten Impulsen folgend, brechen die Tänzer aus sich heraus, doch nur, um rasch wieder in die erstarrte Pose zurückzufallen. Die Menschen flüchten und verharren im gleichen Moment, es entsteht eine eisige Atmosphäre der Verletzlichkeit. ... Aber die nachfolgende choreographische Sequenz, bei der die Tänzer mit sich selbst zu ringen scheinen, ihre Arme um den Hals schlingen, als nehme die Wahrheit sie in den Würgegriff, ist eine fulminante Szene, bei der sich das Ensemble zu komplexen Gebilden verhakelt und verknotet, die schon einen Augenblick später wieder auseinander gestoben sind. Energie schnellt gleich plötzlich aufflackernden Erinnerungen auf - das steht für jähes Aufbäumen eben jenes "nackten Lebens" ... - Frankfurter Rundschau
Wie der von weißem Tanzteppich bis in die letzte Ecke aufgerissene Raum mit seinen funktionalen Aufbewahrungssegmenten zeigt auch die Choreografie zugleich alles und nichts. Kleinteilig, geometrisch und kühl zersplittert sie das konzentrierte achtköpfige Ensemble in Einzelweisen. Aus der Zergliederung entstehen Landschaften, die eine Leerstelle umkreisen: die Rechtlosigkeit als rechtliches Phänomen, der Körper als Ursprung der Bewegung und im Gesamtklang eingespanntes Instrument. Eben noch individuell zugeschnittenes Material wird im Zusammenspiel funktionaler Teil einer Ensemblemaschinerie. "Homo Sacer" legt seine choreografischen Strategien ungeschützt bloß und geht damit über Christoph Winklers bisherige Stücke hinaus. - Berliner Morgenpost
Die ornamentale Schönheit der Schlangenlinie und die vollendete Form des Kreises sind die Hauptmotive in Christoph Winklers neuem ... Tanzstück Homo Sacer. Sie springen von Tänzer zu Tänzer über, rollen zu Wellen gebündelt über die Bühne. ... Der Kontrast der geschundenen Figur zur Grazie der Bewegungen wirkt extrem, ließe sich aber mit Kleists Gedanken zum Marionettentheater erklären. Größte Eleganz der Bewegung ist demnach nur möglich, existiert kein Bewusstsein von ihr. - Tagesspiegel
Man möchte sie anfangs nur bewundern, diese gewandten und beredten Körper. Christoph Winklers neues Tanzstück "Homo Sacer" beginnt wie ein Morgen: Nach und nach steigen die acht Tänzer und Tänzerinnen herab von den Türmen und Gerüsten, in denen sie in engen Waben lagen, und füllen den offenen Raum der Bühne mit intensiven Bewegungsmonologen. Christoph Winkler ist keiner, der illustrativ arbeitet, zum Glück. Nie behauptet er, dass Bewegung Bedeutung hat, im Gegenteil ... Im Verlauf der sechzig Minuten entwickelt sich die Choreografie zu einem beeindruckenden Geflecht; wie sich Kombinationen, Ketten der Körper und Gruppen bilden, wie Verdichtung und Vereinzelung stattfindet, wie Raum genommen und wieder freigegeben wird. Die Texte steuern gegen die Wand, auf eine Ausweglosigkeit zu, die auf die Fortsetzung der Bewegung warten lässt, auf dieses geschmeidige Gleiten. - Die Tageszeitung
Kaum zu glauben: Tanz kann politisch sein. Den Beweis dieser These liefert der Choreograf Christoph Winkler mit seinem Tanzstück "Homo Sacer" in den Sophiensaelen... - Neues Deutschland